Glosse:Das Streiflicht

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Die Farbe Weiß kann öde, gefährlich, gar todesnah sein. Der Papst hat dies gerade bewiesen.

(SZ) Peter Sloterdijk gehört neben Immanuel Kant und Markus Lanz zu den großen, im Prinzip deutschsprachigen Philosophen. In seinem Buch "Wer noch kein Grau gedacht hat" findet sich der Satz: "In jedem sehfähigen Dasein ist das Eintauchen in weltliche Farbigkeiten mitenthalten." Man könnte das auch so sagen: Menschen sehen Farben und leben mit ihnen. Aber dann handelte es sich nicht um bei Suhrkamp erscheinende Philosophie. Der aktuelle Papst ist zweifelsohne ein Mensch. Franziskus ist in seinem sehfähigen Dasein dieser Tage in eine besondere weltliche Farbigkeit eingetaucht, nämlich in das große Weiß. Mit dem ihm eigenen leicht magischen, manchmal aber auch leichthin labernden Realismus empfahl der Papst der Ukraine, sie solle doch den "Mut zur weißen Fahne" zeigen, denn der führe zu Verhandlungen. Des Papstes Farbenlehre kam bei sehr vielen, zumal in der Ukraine, sehr schlecht an. Das ist verständlich, denn wer möchte, im Kampf gegen den Erzaggressor stehend, die Kapitulation empfohlen bekommen? Das ist ungefähr so, wie wenn man dem Vatikan nahelegte, die letzten 2000 Jahre hätten doch gezeigt, wie mächtig der Teufel sei. Also sei es nun wirklich Zeit für einen Luziferaltar im Petersdom.

Nun ist Weiß die Farbe des Papstes. Er trägt weiße Gewänder, die der 16. Benedikt gerne mit sehr roten Schuhen betonte. Weiß gilt auch als die Farbe der Unschuld, von der es heißt, sie sei in den Geheimarchiven des Vatikans bombensicher gelagert. Bräute trugen zum Zeichen ihrer "Unschuld" früher weiß. Heute gilt es glücklicherweise nicht mehr als Schuld, wenn Frauen, Männer und andere Menschen sich auch vor, außerhalb oder völlig ohne Ehe "erkennen", wie das im 1. Buch Mose umschrieben wird ("Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger..."). Weiß ist die Farbe des Schnees, den es immer weniger gibt (siehe auch Erderwärmung). Und wer mal in einem weißen Hemd (oder gar in einer weißen Soutane) versucht hat, Spaghetti mit Tomatensauce zu essen, der weiß, dass weiß höchst unpraktisch ist. Von alten weißen Männern soll gar nicht erst die Rede sein.

Jener Sloterdijk weist darauf hin, dass Melville in seiner Geschichte von der Jagd auf den weißen Wal Moby Dick eine dezidiert unpositive Sicht auf das Weiße hat. Er schreibt, das "wesenlose Weiß" erinnere an die frostig leeren Räume des Weltalls. In einer Schneelandschaft sei zudem alles Sichtbare von einem unendlichen Leichentuch umhüllt. Weiß also erinnert an Moribundes, an Vergangenes, an Ödes, an Gefährliches. Die heilige Johanna von Orleans zog keine weiße Fahne auf, auch wenn ihre Kirche später immer wieder Beispiele für die verschiedenen Möglichkeiten der Kapitulation im weißen Tarngewand angeblichen Friedens gab. Die weiße Taube übrigens ist nicht katholisch.

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