Glosse:Das Streiflicht

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Allmählich wird es still, nicht nur weil Weihnachten naht, sondern auch wegen der vielen Streiks. Wenn die Bahn nicht mehr fährt, kommt eine schöne alte Tugend wieder zu ihrem Recht: das Gehen.

(SZ) Der italienische Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, einer aus Giorgia Melonis Postfaschistenpartei, hat kürzlich einen Zug anhalten lassen, um auszusteigen und mit dem Auto weiterzufahren. Respekt, da zeigt einer, wer das Sagen hat: Er, der Neofaschist: Alle Züge stehen still, wenn mein starker Arm es will. In einem Staat, in dem Mussolini wieder zu Ehren kommt, müssen die Leute ja wissen, wo der Hammer hängt. Noch größeren Beifall hätte Lollobrigida verdient, wäre er zu Fuß weitergegangen, also in einer Fortbewegungsart, zu der deutsche Bahnreisende fast täglich gezwungen sind. Zu ihrem Glück, muss man hinzufügen, denn als Fußgänger ist der Mensch ganz bei sich. Wer zu Fuß geht, knüpft ein Band zu den ersten Menschen, den Pionieren des aufrechten Gangs, für den Affen einfach zu doof waren. Nur Menschen waren dazu imstande, und natürlich die Hühner. Als Fußgänger hat der Mensch den Planeten erobert, als Wanderer genießt er die frische Luft, als Flaneur den Feinstaub der Städte. "Ohne Spazieren wäre ich tot", schrieb der Schriftsteller Robert Walser.

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