Gewalt in Syrien:Rotes Kreuz mahnt zur Waffenruhe

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Syrien steht vor einer humanitären Notlage: Es gab weitere 100 Todesopfer, die heftigen Kämpfe behindern den Einsatz von Helfern. Das Rote Kreuz bittet Regime und Rebellen um eine Waffenruhe, um die Menschen mit dem Notwendigsten zu versorgen. Russland vermutet unterdessen eine Mehrheit des Volkes auf der Seite des Präsidenten - und hat seine Waffenlieferungen an das Regime offenbar aufgestockt.

Das Rote Kreuz befürchtet wegen der anhaltenden Gewalt in Syrien eine humanitäre Katastrophe und bemüht sich um eine Waffenruhe. Nach Angaben von Diplomaten berieten Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) darüber in Genf mit Repräsentanten der syrischen Regierung und der Rebellen. Russland forderte den Einsatz eines UN-Sondergesandten, um die Sicherheit von Hilfstransporten zu gewährleisten.

Das Internationale Rote Kreuz zeigt sich besorgt über die humanitäre Lage in Syrien. (Foto: REUTERS)

Landesweit wurden am Dienstag nach Angaben von Oppositionellen mindestens 100 Menschen getötet. "Wir sind zutiefst besorgt über die humanitäre Lage", sagte IKRK-Sprecher Bijan Farnoudi. Rot-Kreuz-Mitarbeiter "prüfen derzeit mehrere Möglichkeiten, dringend benötigte Hilfe zu leisten", erklärte er. "Dazu gehört eine Waffenruhe in den am stärksten betroffenen Gebieten, die es dem Syrischen Arabischen Halbmond sowie dem IKRK ermöglichen würde, notleidende Menschen zu erreichen."

Ergebnisse der Gespräche wurden zunächst nicht bekannt. In einer Mitteilung bat die Organisation darum, dass für mindestens zwei Stunden pro Tag die Waffen ruhen sollten. Dann hätten die Helfer auch Zeit, Hilfslieferungen an die Menschen zu verteilen und Verletzte aus den umkämpften Gebieten zu bringen. Teams von Rotem Kreuz und Rotem Halbmond seien bereits seit dem 11. Februar in der Krisenregion unterwegs, hieß es.

Demonstration gegen Verfassungsentwurf

Das Assad-Regime setzte auch am Dienstag seine militärischen Angriffe gegen Hochburgen der Opposition fort. Nach Angaben von Aktivisten kamen landesweit mindestens 100 Menschen ums Leben, 56 allein in der Provinz Homs. Bei Angriffen gegen Stellungen von Deserteuren der "Freien Syrischen Armee" in der Provinz Idlib nahe der Grenze zur Türkei sollen mindestens 44 Menschen getötet worden sein. Oppositionelle sprachen von einer der heftigsten Attacken seit Beginn der Belagerung der Protesthochburg Homs Anfang Februar.

Das seit Wochen belagerte Viertel Baba Amro sowie weitere Gebiete, in denen die Opposition stark ist, wurde den Angaben nach mit Granaten beschossen. Live-Bilder von dem Beschuss wurden von Oppositionellen an arabische TV-Sender geschickt.

In Damaskus versammelten sich unterdessen 200 Demonstranten vor dem Parlament, um gegen eine Klausel des Verfassungsentwurfs zu protestieren, wonach der Präsident Muslim sein muss. Aufgerufen zu den Protesten hatte die von der Regierung tolerierte links-säkulare Volksfront für den Wandel und die Befreiung. Der umstrittene Verfassungsentwurf wird bei einem Referendum am Sonntag zur Abstimmung gestellt.

Russland, das im UN-Sicherheitsrat zusammen mit China eine härtere Gangart gegen den syrischen Präsidenten Assad verhindert hat, schlug vor, einen UN-Sondergesandten für Syrien zu ernennen. Es sei dringend humanitäre Hilfe notwendig, erklärte ein Sprecher des russischen Außenministeriums. Ein Sondergesandter solle mit der Führung in Damaskus und allen Beteiligten die Sicherheit der Transporte gewährleisten.

Diese Äußerungen wurden geradezu karrikiert, nachdem bekannt wurde, dass Russland die Waffenlieferungen an Syrien nach Angaben ehemaliger Vertreter der syrischen Führung, die inzwischen die Seite gewechselt haben, sogar aufgestockt hat. Russland gerät damit als größter Waffenlieferant Syriens angesichts des gewaltsamen Vorgehens der Führung in Damaskus gegen die Protestbewegung international immer mehr in die Kritik. Allein 2011 sollen es Waffen im Wert von fast einer Milliarde Dollar gewesen sein.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Puschkow, sagte bei einem Besuch in Damaskus, Präsident Assad könne auf deutlich mehr Unterstützung zählen als die Opposition. "Die Mehrheit des syrischen Volkes unterstützt Präsident Assad und hat Angst vor unkontrollierbaren Entwicklungen." Zugleich räumte Puschkow ein, dass das Land gespalten sei. Assad setze große Hoffnung auf demokratische Reformen im Zuge der für Ende Februar geplanten Volksabstimmung über eine neue Verfassung sowie der für Mai angesetzten Parlamentswahl.

Experten der Vereinten Nationen sorgen sich unterdessen um mehrere in Syrien inhaftierte Menschenrechtsaktivisten. Sie seien am vergangenen Donnerstag nach einem Überfall von Sicherheitskräften auf die Menschenrechtsorganisation Syrisches Zentrum für Medien und Freie Meinungsäußerung (SCM) mit verbundenen Augen abgeführt worden, erklärten die UN-Vertreter. Es sei zu befürchten, dass diese Menschen nun Folter und Misshandlung ausgesetzt seien.

Am Freitag trifft sich in der tunesischen Hauptstadt Tunis erstmals die neue "Gruppe der Freunde Syriens". Damit soll ein Zeichen der Solidarität mit der syrischen Opposition gesetzt werden. Zudem soll es um konkrete Hilfsmöglichkeiten für die syrische Bevölkerung und die mehr als 20.000 Flüchtlinge gehen, die sich in die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien abgesetzt haben. Eingeladen wurde auch der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC). Russland will nicht teilnehmen. Die großen westlichen Staaten wollen am Donnerstag in London das weitere Vorgehen abstimmen.

© Süddeutsche.de/dpa/AFP/mkoh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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