Gesundheit:Ess-Störung

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US-Familien speisen kaum noch gemeinsam - mit fatalen Folgen.

Von Claus Hulverscheidt

Sicher, so ein Familienmahl muss nicht in jedem Fall eine gute Idee sein. Da ist der Partner, der es zwar auf den letzten Drücker nach Hause geschafft hat, in Gedanken aber immer noch im Büro weilt. Der Teenager, der mit Stöpseln im Ohr aufs Handy starrt und gerne überall wäre - nur nicht hier. Die Kleine, die ohne Punkt und Komma die Schulhofgespräche mit ihren Freundinnen referiert. Vom angebrannten Eintopf gar nicht erst zu reden.

Und doch: So sehr eine Familienrunde auch einmal danebengehen kann, so viel schlechter ist es, wenn Eltern und Kinder gar nicht zusammen essen. Darauf verweisen etwa die Experten des "Family Dinner Projects" an der US-Universität Harvard: Familien, die sich morgens oder abends für eine halbe Stunde um einen Tisch versammeln, stärken demnach nicht nur ihren Zusammenhalt. Vielmehr schreiben die Kinder bessere Noten, sind robuster, haben mehr Selbstvertrauen und seltener mit Übergewicht, Drogenmissbrauch, Depressionen, Essstörungen und gar Teenager-Schwangerschaften zu kämpfen.

Dass ausgerechnet amerikanische Forscher Alarm schlagen, ist wenig verwunderlich: 70 Prozent aller Mahlzeiten in den USA werden außerhalb der eigenen vier Wände eingenommen - 20 Prozent gar im Auto. Die Hälfte aller Familien sitzt praktisch nie gemeinsam am Tisch. Eine Mahlzeit, das ist für viele Amerikaner weniger ein soziokulturelles Ereignis als vielmehr notwendige Energieaufnahme, die sich auch im Vorbeigehen erledigen lässt: Aus dem Frühstück daheim wird so ein Mitnehmkaffee auf dem Weg zur U-Bahn, mittags tut es ein Sandwich aus dem Diner um die Ecke, und abends bilden sich Schlangen vor den Drive-in-Schaltern der Schnellimbisse. Auch dass man Freunde nach Hause zum Essen einlädt, ist vielerorts eher unüblich. Wenn man sich trifft, dann meist in einem Restaurant.

Experten glauben, dass schon drei Familienessen pro Woche reichen, um positive Effekte für die körperliche und emotionale Gesundheit der Kinder zu erzielen. Ideal wären nach einer Studie der New Yorker Columbia-Universität fünf bis sieben gemeinsame Mahlzeiten. Dabei muss es mitnichten jedes Mal ein Drei-Gänge-Menü sein. Es reicht auch mal, wenn man sich zu Möhrensticks, Tortilla-Chips und Guacamole um den Tisch versammelt.

Damit aus dem Familienessen kein Familienzwist wird, unterbreiten die Experten des "Familiy Dinner Projects" gar Dutzende Ideen, worüber sich Eltern und Kinder unterhalten können. Zwei- bis Siebenjährige etwa könnte man fragen, was ihre Lieblingsgrimasse ist oder welche neue Familientradition sie sich wünschen würden. Acht- bis 13-Jährige könnten erzählen, was sie ändern würden, wenn sie Direktor ihrer Schule wären, alle Älteren müssten sagen, was ihr ungewöhnlichstes Talent ist. Tabu sind dagegen elterliche Klagen über Schulnoten, Grundsatzdebatten über das Wesen des Teenagers an sich und ähnliche Stimmungskiller.

Wem es an Ideen für die Gestaltung des Familienmahls fehlt, findet im Netz viele kostenlose Tipps. Die Experten des "Family Dinner Projects" versenden zudem einmal täglich eine E-Mail mit einem Rezept, einer Spielidee und einem Vorschlag für ein abendliches Thema an alle Interessierten. Nur essen und sprechen muss man noch selbst.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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