Gert Schramm:Der Schwarze, der Buchenwald überlebte

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Gert Schramm überlebte wie durch ein Wunder das KZ Buchenwald - er war dort der einzige schwarze Häftling. Unter den Befreiern eines Buchenwald-Außenlagers war 1945 auch ein Großonkel Barack Obamas, des ersten schwarzen US-Präsidenten. Ein Gespräch über ein besonderes Leben.

Oliver Das Gupta und Franziska von Kempis

Buchenwald, 13. April 1945: Als Gert Schramm die ersten Amerikaner sieht, traut er seinen Augen nicht. Zwei Tage, nachdem Häftlinge die Kontrolle über das Konzentrationslager übernommen hatten, rückt eine Kompanie des 317th Infantry Regiment ein, auch Soldaten mit dunkler Hautfarbe.

gert schramm kz buchenwald foto: kempis

Gebürtiger Thüringer, früherer KZ-Häftling, Afrodeutscher: Gert Schramm. Auf seinem linken Unterarm ist der "Winkel" zu sehen, der ihm in Buchenwald tätowiert wurde. Die Nummer ist von der Armbanduhr verdeckt.

(Foto: Foto: Franziska von Kempis)

"Ick habe Bauklötze jestaunt", sagt Schramm - und die Amerikaner haben "zurückjestaunt": Vor ihnen steht ein 16-jähriger Junge mit dunkler Hautfarbe. Gert Schramm, der einzige afrodeutsche Häftling in Buchenwald.

49489, auf diese Nummer war er im KZ reduziert. Auf Schramms linken Arm prangt die Zahlenfolge, verdeckt durch seine Armbanduhr. Immer wieder greift er unbewusst an den Chronometer.

Buchenwald, 5. Juni 2009: Der amerikanische Präsident Barack Obama wird die KZ-Gedenkstätte besuchen. Gefolgt von Kameratams und Reporterscharen erinnert er an diesen Platz des Grauens. Sein Großonkel Charles Payne gehörte vor 64 Jahren zu jenen US-amerikanischen Soldaten, die das ein paar Kilometer entfernt gelegene Außenlager Ohrdruf befreiten.

Die Amerikaner der 89. Infanteriedivision hatten die berüchtige Außenstelle ein paar Tage früher als das Hauptlager Buchenwald erreicht. Jetzt ist das einstige KZ eine wichtige Station in der Reise von Charles Paynes Großneffen. Obama hat eines Tages seinen 84-jährigen Verwandten angerufen und gefragt, wie das Lager heiße, das er mitbefreit hatte. Da brachen in dem Soldaten die verdrängten Erinnerungen wieder auf.

Verliebt in die Tochter des Herrenschneiders

"Wenn er jetzt nach Buchenwald fliegt", sagte Payne jüngst gleichwohl im Spiegel, "geht es wohl eher um große Politik als um mich." Angela Merkel habe es ihm im Wahlkampf nicht immer leicht gemacht.

Gert Schramm freut sich über den Besuch. Wenn er Barack Obama sähe, dann würde er ihm im Namen aller Häftlinge danken, sagt er. Die Amerikaner retteten sein Leben. Das vergisst der KZ-Häftling 49489 nie. Auch nicht so viele Jahre später in seiner Wohnung in Eberswalde, in der "Waldstadt" im Nordosten des Landes Brandenburg.

Die Geschichte des Gert Schramm beginnt Mitte der zwanziger Jahre. Sein Vater Jack Bransken, Amerikaner und Ingenieur bei einer US-Stahlbaufirma, hilft in Deutschland beim Bau einer Brücke.

In Erfurt lässt er sich bei Schneider Schramm einen Anzug fertigen - und verliebt sich in dessen Tochter Marianne. Sohn Gert kommt 1928 zur Welt. Der Filius geht in Langensalza zur Schule, der "herrlichen Kleinstadt".

Eigentlich fühlt sich der Bub nicht anders als die anderen Kinder - sein Klassenlehrer aber sieht das anders. "Hab ich die Schularbeiten jemacht, gabs Prügel, wenn nicht, erst recht", sagt Gert Schramm in einem Mischmasch aus Berliner und Thüringer Mundart. Da habe er dann lieber die Schule geschwänzt. Schramm lacht lauthals.

Bei den Gestapo-Verhören gab es was "in die Fresse"

Gert Schramm ist im Arier-Staat des Adolf Hitler ein Unikum wie zum Beispiel der in Hamburg geborene Hans-Jürgen Massaquoi, der später seine Erinnerungen in "Neger, Neger, Schornsteinfeger" aufschrieb.

Auch der Mann auf der braunen Sitzcouch im Eberswalder Wohnzimmer hat nichts vergessen. Wenn Barack Obama ein wenig Zeit hätte, würde Gert Schramm ihm seine Geschichte erzählen.

Der brutale Pauker seiner Jugend trägt damals Uniform im Unterricht, er ist stolzes Mitglied der NSDAP. Für den Nazi-Lehrer ist Gert ein Nicht-Arier, schlimmer noch: das Ergebnis von Rassenschande, die die Nazis in ihren Nürnberger Blutgesetzen erfinden und verbieten. Schramms Eltern dürfen in Hitlers Zwangsstaat nicht zusammen sein, an Heiraten ist nicht zu denken.

Trotz des staatlich vorgegebenen Rassenhasses geht Vater Bransken nicht zurück nach San Francisco; auch als der Krieg 1939 ausbricht, bleibt er bei Marianne, der Liebe seines Lebens. 1941 wird Bransken abgeholt, seine Spur verliert sich später auf dem Weg nach Auschwitz.

Der Sohn schuftet als Hilfsarbeiter in einer Autowerkstatt, eine Lehre darf er nicht machen.

Im Mai 1944 nehmen Gestapo-Männer dann Gert Schramm mit. Tagelang lässt man ihn ohne Essen und Trinken. Sie schaffen ihn von Knast zu Knast. Erfurt, Weimar, Erfurt, immer wieder hin und her. Bei Verhören guckt der Vernehmer in seine Akte, haut ihm "in die Fresse", wie Schramm erzählt, dann muss er wieder in die Zelle.

"Die sind doch bekloppt", denkt sich der Häftling. Todesangst hat er keine. Was Gestapo bedeutet, dämmert ihm erst nach und nach.

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