Gedenken an KZ-Befreiung:"Unsere Narben sind kaum zu heilen"

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Mahnung für die Zukunft: Hunderte Überlebende erinnern an die Befreiung deutscher Konzentrationslager vor 65 Jahren.

Für viele der Überlebenden der deutschen Konzentrationslager ist es eine letzte Reise an den Ort gewesen, an dem sie die wohl schrecklichste Zeit ihres Lebens verbrachten.

An den früheren Lagern Bergen-Belsen, Ravensbrück und Sachsenhausen gedachten am Sonntag Hunderte ehemalige Häftlinge ihrer Befreiung durch die Alliierten vor 65 Jahren.

"Es ist kaum zu glauben, dass seit unserer Befreiung bereits 65 Jahre vergangen sind", sagte der Präsident des Weltverbandes der Bergen-Belsen-Überlebenden, Sam Bloch. "Unsere offenen Narben sind kaum zu heilen", meinte er. Knapp 200 Schicksalsgenossen waren wie er nach Bergen-Belsen gekommen - viele begleitet von Kindern oder Enkelkindern.

"Das Lager war die Hölle auf Erden, ein Ort der Hoffnungslosigkeit", sagte Kulturstaatsminister Bernd Neumann in Bergen-Belsen in Niedersachsen.

"Bergen-Belsen ist ein Ort deutscher Schuld, aber es hat lange gedauert, bis das Land sich die Schuld eingestanden hat." Deutschland werde nun aber alles tun, um die Erinnerung stets wachzuhalten. "Wir müssen heute und in Zukunft jeder Form von Ausgrenzung entgegentreten", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU).

Tausende starben nach der Befreiung

Er erinnerte an die dramatische Lage in dem Konzentrationslager unmittelbar vor der Befreiung. "Nur die Überlebenden wissen, welchen Unterschied vor 65 Jahren ein Tag, ein paar Stunden, oft genug Minuten vor und nach der Befreiung ausmachten."

Das von den britischen Befreiern eilends herbeigeschaffte Wasser und Essen konnte vielen nicht mehr helfen - 14.000 starben an Entkräftung bald nach der Befreiung.

Im Konzentrationslager Bergen-Belsen wurden während des Zweiten Weltkriegs rund 120 000 Menschen interniert. Mindestens 52 000 von ihnen starben während der Haft, darunter auch Anne Frank, deren Schicksal durch ihre Tagebücher weltbekannt wurde. Seit 1952 ist auf dem Gelände eine Gedenkstätte eingerichtet.

Bei der Gedenkveranstaltung in Fürstenberg sagte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) zu rund hundert abgereisten Überlebenden aus Europa und den USA: "Ihre Leidensgeschichte bleibt uns ewige Mahnung." Wer das Leid erfassen wolle, gerate an die Grenzen menschlicher Vorstellungskraft.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) betonte in Fürstenberg: "Das Eintreten für ein solidarisches Miteinander darf nie infrage gestellt werden." Die grausame Vergangenheit sei Teil deutscher Geschichte und Identität, sagte Schavan. Daraus erwachse eine "immerwährende Verantwortung". Die Gesellschaft müsse wachsam sein - gerade auch mit Blick auf begangene Anschläge auf Synagogen.

"Solange dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen." Die Beendigung des Nazi-Terrors durch die Alliierten im April vor 65 Jahren sei ein Neubeginn für die Überlebenden, Deutschland und Europa gewesen.

Die Präsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees, Annette Chalut, betonte, dass Erinnern und Gedenken auch nach dem Tod der Zeitzeugen erhalten bleiben müssten. Sie appellierte, dass künftig in Ravensbrück auch an das Männerlager erinnert und das sogenannte Jugendschutzlager Uckermark in unmittelbarer Nähe bewahrt werden müsse. Platzeck versicherte, dass dafür eine "angemessene Lösung" gefunden werde. Schavan, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vertrat, betonte mit Blick auf ganz Deutschland: "Der Erhalt der Gedenkstätten ist Pflicht."

Am 30. April 1945 befreite die Rote Armee etwa 3000 in dem Lager zurückgelassene Häftlinge. Der Großteil der Gefangenen war zuvor von der SS auf Todesmärsche getrieben worden. Von 1939 bis 1945 waren in dem Konzentrationslager rund 152 000 Frauen, Kinder und Männer eingesperrt.

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