Gazastreifen:"Wir hoffen, dass es keine Toten gibt"

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2000 Soldaten sowie Dutzende Panzer hat die israelische Armee an die Grenze zum Gazastreifen verlegt. (Foto: Amir Cohen/Reuters)

Tausende Palästinenser wollen an diesem Samstag gegen die Abriegelung des Gazastreifens protestieren. Für die radikalislamische Hamas und auch für Israel steht dabei viel auf dem Spiel.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Yad Mordechai

Vor einem Jahr versicherte Essam Hammad noch: "Das ist ein Protest normaler Bürger." Der Mittvierziger organisierte damals gemeinsam mit 13 anderen Palästinensern im Gazastreifen den "Marsch für die Rückkehr". Als Begründung gab der im Anzug gekleidete Manager einer ausländischen Medizintechnik-Firma damals an: "Vor 25 Jahren gab es die Möglichkeit, einen palästinensischen Staat zu errichten. Das ist nicht geschehen. Deshalb müssen wir handeln."

Inzwischen hat sich Hammad aus dem Organisationsteam zurückgezogen. Die Begründung dafür kommt in einem Telefongespräch nur zögerlich: "Im vergangenen Jahr lagen die Dinge noch anders. Ich war einer der Ersten, der zu diesem Marsch der Rückkehr aufgerufen hat. Es ging um Land. Jetzt geht es beim Marsch um etwas anderes: die Blockade zu brechen." Er meint damit die Abriegelung des Gazastreifens durch Israel und auch Ägypten. "Es muss ein Ende haben, dass Leute sich dem Zaun nähern und Gefahr laufen, von israelischen Scharfschützen erschossen zu werden. Es gab so viele Tote." Auf die Frage, ob er sich deshalb zurückgezogen habe, weil die Hamas die Proteste übernommen und für ihre Zwecke nutze, antwortet Hammad: "Es geht nicht um die Hamas. Wir haben keine Methode gefunden, um zu verhindern, dass sich die Menschen dem Zaun nähern. Das sind arbeitslose junge Männer, die die Hoffnung verlieren. Tod und Leben, das ist das Gleiche für sie. Sie erinnern sich an die erste Intifada, schmeißen Steine und zünden Feuer an." An dem Marsch zum Jahrestag an diesem Samstag will Hammad aber teilnehmen. "Es wird einen großen Protest geben, vergleichbar zu dem am 14. Mai 2018. Wir hoffen, dass keine Toten gibt."

Es ist tatsächlich eine ähnliche Situation wie an jenem Maitag, dem 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels, an dem die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt wurde. Damals eskalierten die Auseinandersetzungen am Grenzzaun: Israelische Soldaten erschossen 62 Palästinenser.

Auch diesmal hat die israelische Armee Scharfschützen an der Grenze postiert. Zusätzlich sind nun mehrere Dutzend Panzer einsatzbereit sowie etwa 2000 Soldaten, die in die Region verlegt worden sind. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu schloss bei einem Besuch der Truppen am Donnerstag einen groß angelegten Militäreinsatz im Gazastreifen nicht aus. "Wenn wir eine breitere Option brauchen, werden wir sie stark und zuversichtlich angehen, nachdem wir alle anderen Optionen ausgeschöpft haben." Die Ägypter bemühten sich um einen Waffenstillstand.

Netanjahu steht unter Druck - erst recht angesichts der Parlamentswahl am 9. April. Nicht nur die Opposition kritisiert sein zurückhaltendes Vorgehen nach dem Raketenbeschuss auf ein Haus in Zentralisrael und die folgenden 60 Raketen auf die israelischen Gebiete rund um den Gazastreifen. In zwei Umfragen sind 53 beziehungsweise 54 Prozent der Israelis der Ansicht, Netanjahus Reaktion sei zu schwach.

Auch die im Gazastreifen regierende Hamas ist seit Kurzem mit Demonstrationen unzufriedener Bürger konfrontiert, die gegen die schlechten Lebensbedingungen protestieren. Die Organisatoren wollen eine Million Menschen zur Teilnahme am Samstag bewegen - das wäre die Hälfte der Bevölkerung. Wie viele dann tatsächlich teilnehmen, gibt auch Aufschluss über die Mobilisierungskraft der Hamas.

Im Vorfeld wurden auf beiden Seiten Zahlen über die seit einem Jahr andauernden Auseinandersetzungen präsentiert: Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza sind 273 Menschen getötet worden, laut UN waren es 195, und 29 000 wurden verletzt. Auf israelischer Seite gab es zwei Tote und 142 Verletzte. Palästinenser sollen laut israelischen Angaben 1233 Raketen abgefeuert und 600 Molotow-Cocktails geworfen haben, die Armee indes bombardierte Hunderte Ziele im Gazastreifen.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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