Gaza:Bangen um Mehl und Milch

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Ein Palästinenser schiebt in Gaza-Stadt eine Ladung Lebensmittel, die er vom Hilfswerk UNRWA bekommen hat. (Foto: Mohammed Abed/AFP)

Das Hilfswerk UNRWA steckt in einer schweren Finanzkrise, was die Versorgung der Palästinenser im Gazastreifen stark gefährdet. Deutschland will helfen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Gaza

Vor dem Verteilzentrum in Dschablia im nördlichen Gazastreifen drängen sich die Eselskarren. Abeer Sobeih, 36, wuchtet gemeinsam mit einem Verwandten Nahrungsmittel auf den Karren. "Wie lange wird es das noch geben?", fragt die Palästinenserin, "wenn wir das nicht mehr bekommen, dann müssen wir Hunger leiden." Die Nachrichten der Finanzkrise des Hilfswerks UNRWA haben auch Abeer Sobeih erreicht. Mit dem, was sie vom Zentrum des Hilfswerks nach Hause bringt, müssen sieben Familienmitglieder möglichst lange auskommen. Jedes Quartal gibt es eine abgemessene Ration: pro Person sind das 15 Kilogramm Mehl, zwei Kilogramm Reis, ein Liter Öl, ein halbes Kilogramm Zucker, ein halbes Kilogramm Linsen, ein Kilogramm Kichererbsen und eine Packung Milch.

Mehr als eine Million Menschen sind wie die Familie von Abeer Sobeih im Gazastreifen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Die von Israel und Ägypten verhängte Blockade wirkt. Wie lange es diese Unterstützung im bisherigen Umfang noch geben wird, darauf weiß der Direktor des Palästinenserhilfswerks UNRWA im Gazastreifen, der Deutsche Matthias Schmale, keine Antwort. Die Waren sind für das erste Quartal des neuen Jahres bestellt, aber nicht bezahlt. Schmale weiß nicht einmal, ob die UN-Organisation im Dezember die Gehälter der 13 000 Mitarbeiter im Gazastreifen bezahlen kann. Davon hängen aber rund 100 000 Menschen ab.

Die UNRWA betreibt im Gazastreifen, wo die radikalislamische Hamas regiert, 276 Schulen, 22 Gesundheitszentren und verteilt Lebensmittel. Dazu kommen noch Angebote für Menschen mit psychischen Problemen, sowie das Cash-for-Work-Programm. Dabei werden für Hilfstätigkeiten wie Lebensmittelverteilung drei Monate bis zu 400 Dollar gezahlt. Eine Viertel Million Menschen stehen auf der Warteliste, denn bezahlte Jobs gibt es kaum. Die Arbeitslosenquote liegt bei 41 Prozent.

Die UNRWA kümmert sich auch um die insgesamt 5,5 Millionen Palästinenser im Westjordanland, in Jordanien, Libanon und Syrien. Doch ihr fehlen laut Schmale akut 167 Millionen Dollar, um Verbindlichkeiten wie die Dezembergehälter und die Rechnungen der Lieferanten zahlen zu können. "So hoch war das Defizit noch nie gegen Jahresende. Wir sind in der schwersten Finanzkrise, die wir jemals hatten", sagt Schmale. Was bedeutet das für den Gazastreifen? "Wir brauchen, damit die Nahrungsmittelhilfe und die anderen Programme nicht gefährdet werden, 30 Millionen Dollar, um gegenwärtige Schulden zu begleichen. Weitere 30 Millionen bräuchten wir, um unsere Arbeit zumindest das zweite Quartal weiterführen zu können. Wir brauchen also 60 Millionen, um sicherzustellen, dass ab 1. April in diesen Bereichen nicht zugesperrt wird."

Zwei Dinge sind für die Krise verantwortlich: der Rückzug der USA und Missmanagement

Für die Verschärfung der Finanzkrise sind vor allem zwei Faktoren verantwortlich: Die massive Kürzung der Zahlungen durch die USA und Vorwürfe von Missmanagement in der UNRWA. US-Präsident Donald Trump hatte die bisherigen 360 Millionen Dollar für die Palästinenser gestrichen. Arabische Staaten und EU-Länder wie Deutschland haben Zahlungen aufgestockt. Deutschland ist mit 173,2 Millionen Euro größter bilateraler Geldgeber.

Die Schweiz, Niederlande und Belgien haben ihre Überweisungen vor einigen Monaten jedoch gestoppt, als bekannt wurde, dass interne Untersuchungen wegen Missmanagements gegen den UNRWA-Leiter Pierre Krähenbühl und weitere fünf Mitarbeiter eingeleitet wurden. Krähenbühl sah sich Vorverurteilungen ausgesetzt und ist vor einem Monat zurückgetreten. Der Untersuchungsbericht liegt noch nicht vor, vorab ist jedoch bekannt geworden, dass es nicht um Korruption geht. "Damit sind Geldgeber wie Deutschland hoffentlich beruhigt, dass nicht Steuergelder veruntreut wurden", sagt Schmale. Er hofft, dass nun noch vor Ende des Jahres Gelder fließen.

Deutschland habe signalisiert, UNRWA auf gleichem Niveau zu unterstützen. "Aber der politische Gegenwind wird schärfer", sagt er. Schmale gesteht ein, dass "drei bis fünf Prozent" der Inhalte der Schulbücher problematisch seien. In den 276 UNRWA-Schulen mit 170 000 Schülern im Gazastreifen werden Lehrmittel der palästinensischen Autonomiebehörde verwendet. Der Großteil der problematischen Inhalte beziehe sich auf Landkarten, auf denen Israel nicht erscheine. "Oft wird nicht klargemacht, dass das keine aktuelle, sondern eine historische Karte ist." Außerdem werden Personen als Märtyrer bezeichnet, "die von Israel und der internationalen Staatengemeinschaft als Terroristen angesehen werden".

Die UNRWA versuche Änderungen bei der Autonomiebehörde durchzusetzen, investiert wird auch in Fortbildungen für Lehrer. "Wir wollen, dass Lehrer Kindern klarmachen, warum diese Seiten problematisch sind. Dass es nicht geht, eine Landkarte ohne Israel zu zeigen", sagt Schmale.

Das Mandat der 1949 gegründeten UNRWA wurde gerade um drei Jahre verlängert. 170 Staaten stimmten in den UN dafür, zwei dagegen: USA und Israel. Zur Forderung Israels, dass die UNRWA aufgelöst und das Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Arbeit übernehmen solle, meint Schmale: Das UNHCR arbeite mit Regierungen zusammen, betreibe selbst keine Schulen oder Gesundheitszentren. Einer der Hauptkritikpunkte Israels ist, dass der Flüchtlingsstatus an alle nachfolgenden Generationen der im Zuge der Staatsgründung Israels 1948 vertriebenen Palästinenser weitervererbt wird. "Es wird argumentiert, dass UNHCR eine Lösung wäre, weil die Rückkehrfrage vom Tisch wäre. Das stimmt nicht. Das UNHCR setzt auf Repatriierung. Aber das setzt einen Staat voraus", sagt Schmale.

© SZ vom 04.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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