Ägypten dreht Israel das Gas ab:Es wird kalt in der Wüste

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Ein äußerer Feind, um die innere Diktatur zu rechtfertigen: Ägypten hat den Vertrag über Gas-Lieferungen ins benachbarte Israel gekündigt. Mit Politik habe das nichts zu tun, beteuert der Chef der ägyptischen Gasholding, doch das glaubt ihm kaum jemand. Im Mai wählt Ägypten einen neuen Präsidenten, im Juni sollen die Generäle ihre Macht abgeben. Bis dahin erlebt das verwirrte Land ein kaum durchschaubares Ringen um die besten Plätze für die Zeit danach.

Sonja Zekri, Kairo

Vor zwei Wochen explodierte auf dem Sinai eine Bombe unter der Gaspipeline nach Israel. Es war der 14. Anschlag seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak im Februar 2011, und so sehr sich die vernachlässigte, kaum kontrollierbare ägyptische Halbinsel auch vom Rest des Landes entfremdet fühlt - die Unterbrechung der Gaslieferungen an Israel fand Beifall von Assuan bis Alexandria.

Am vergangenen Donnerstag nun hat die staatliche ägyptische Gasholding Egas Israel das Gas ganz offiziell abgedreht und den Vertrag mit der israelisch-ägyptischen Exportgesellschaft East Mediterranean Gas EMG gekündigt. Israel habe vier Monate nicht gezahlt - was das israelische Außenministerium bestreitet -, sagte Egas-Chef Mohamed Schoeb der Agentur AP.

Die Ampal-American Israel Corporation, eine der Holdingfirmen von EMG, nannte demgegenüber die Annullierung des Liefervertrags "illegal" und drohte mit Entschädigungsforderungen. Der Gasvertrag war der größte Handelsvertrag zwischen Israel und Ägypten, 2005 wurde er geschlossen, 2008 strömte das erste Gas, auch nach Jordanien. So alt aber ist auch die Kritik.

Egas-Chef Schoeb hat gesagt, dass die Angelegenheit mit Politik nichts zu tun habe, doch das glaubt ihm kaum jemand. Für die liberale ägyptische Twitter-Jugend gehört die Gaskrise in eine Reihe mit anderen Ablenkungsmanövern des regierenden Militärrats. Im Mai wählt Ägypten einen neuen Präsidenten, im Juni sollen die Generäle ihre Macht abgeben, wenn auch vielleicht nicht ihr Geschäftsimperium.

Bis dahin erlebt das verwirrte Land ein kaum durchschaubares Ringen um die besten Plätze für die Zeit danach - mit schwindelerregenden Wendungen, kurzlebigen Allianzen und viel Propaganda. Für Hanan Badr wirkt da der Schlag gegen Israel wie ein durchsichtiges Manöver: "Einen äußeren Feind schaffen, um innen die Diktatur zu rechtfertigen. Wacht auf!", schreibt sie. Andere sehen den Lieferstopp sogar als Vorwand, um die Machtübergabe der Generäle zu verschieben.

Empirisch belegbar ist einzig die Symbolkraft des Gasvertrags. Für viele Ägypter sind in der Pipeline-Frage der Frieden nach Camp David, die Korruption der Mubarak-Jahre und ihre eigene Misere so untrennbar wie unerfreulich verbunden. Warum liefert Ägypten dem Nachbarland 43 Prozent des israelischen Gasverbrauchs zu Schnäppchenpreisen, während die Ägypter sich in langen Schlangen um Küchengas schlagen? Wer hat das Geschäft mit den ungeliebten Nachbarn eingefädelt? Und wer verdient daran?

Eine der Schlüsselfiguren für diese Fragen ist Hussein Salem, Geheimdienstoffizier, schwerreicher Unternehmer - und intimer Vertrauter Mubaraks. Heute wartet Salem in Spanien auf seine Auslieferung nach Ägypten. Fünf Tage vor dem Sturz Mubaraks war er ins Ausland geflohen. Im Juni wurde er in Madrid festgenommen, sein Millionenvermögen wurde eingefroren, die Villen wurden konfisziert. Spanien wirft ihm Geldwäsche vor, Ägypten verurteilte ihn in Abwesenheit zu sieben Jahren Haft - wegen Korruption bei Immobiliengeschäften in Scharm el-Scheich auf dem Sinai und im Gasgeschäft mit Israel. Salem habe von Mubarak das alleinige Recht für den Gashandel mit Israel bekommen, die Exportgesellschaft EMG gegründet, die er später verkaufte, zuvor aber Gas unter Marktpreisen einkaufen und mit Aufschlägen weiterverkaufen dürfen und so Hunderte Millionen Dollar abgezweigt, so der Vorwurf.

Dass er feinste Grundstücke in Scharm el-Scheich zu lächerlichen Preisen erstand und Mubarak dafür offenbar ein paar Luxusvillen schenkte, dass ägyptische Medien auch von Waffengeschäften schrieben, die Salem nach dem ägyptischen Friedensvertrag mit Israel als Vertreter des ägyptischen Handelsministeriums in Washington abgewickelt hatte und an der US-Militärhilfe verdiente, rundet den Eindruck nur ab: Hussein Salem ist der Prototyp des Camp-David-Gewinnlers. Er ist ein Grund, warum der Vertrag - im postrevolutionären Ägypten erstmals öffentlich diskutiert - sich für populistische Ausfälle so ideal eignet.

Nicht nur, dass der Vertrag von Camp David keine zehn Jahre nach dem Tod des Volkshelden Gamal Abdel Nasser und dem Höhepunkt ägyptischen Einflusses in der Region das wichtigste Land des Nahen Ostens isoliert hatte. Im Polizeistaat Mubaraks war der verordnete Frieden für viele Ägypter Ausdruck für die Entfremdung zwischen der vom Westen abhängigen Elite und dem Volk.

Nun, nach dem Sturz Mubaraks, schwingt das Pendel in die andere Richtung. Die ersten freien Wahlen haben den islamistischen Muslimbrüdern und den ultrakonservativen Salafisten einen Erdrutschsieg von 70 Prozent im Parlament beschert. Ihre Versuche, die verfassungsgebende Versammlung zu dominieren, bremste vorerst ein Gericht.

Zwei der drei aussichtsreichsten Bewerber in den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen - der Muslimbruder Mohamed Mursi und der unabhängige Abdel Menaim Abul-Futuh - sind Islamisten. Und Mursi hat in einer seiner ersten Wahlaussagen bereits versprochen, dass er als Präsident Ägyptens keinen israelischen Politiker empfangen wird. Der dritte Kandidat, Ex-Außenminister Amr Mussa, galt schon unter Mubarak als ausgesprochen israelkritisch. Keiner der drei will den Camp-David-Vertrag kündigen, aber alle wollen überprüfen, ob er noch den Interessen Ägyptens entspricht.

Israel, dessen Premier Benjamin Netanjahu den arabischen Völkern gerade jede Demokratiefähigkeit abgesprochen hat, hätte gern einen anderen Bewerber an der Spitze Ägyptens: Omar Suleiman, den sinistren Ex-Geheimdienst-Chef und Vermittler in Palästinenserfragen. Die Wahlkommission lehnte seine Kandidatur ab. Für liberale Ägypter war es eine Erleichterung. Sie sahen Suleiman als Wiedergänger Mubaraks.

Israel offenbar auch.

© SZ vom 24.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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