Muammar al-Gaddafi ist tot. Das ist sicher. Und sicher scheint auch, dass seine letzten Stunden so voller Gewalt und Brutalität waren wie sein monatelanger Kampf gegen das aufständische Volk. Wie der ehemalige libysche Diktator getötet wurde, liegt jedoch weitgehend im Dunkeln. Aussagen von Offiziellen und Augenzeugen widersprechen sich, verwackelte Handy-Videos und Fotos legen verschiedene Schlüsse über Gaddafis Tod nahe.
Deshalb haben die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und die Vereinten Nationen eine Untersuchung der Todesumstände gefordert. Die neue libysche Regierung müsse mit der "Kultur des Missbrauchs" unter Gaddafi vollständig brechen und Menschenrechtsreformen durchsetzen, die das Land bitter nötig habe, heißt es von Amnesty.
Zuverlässig scheint die Information zu sein, dass Gaddafi am Donnerstagmorgen sein Versteck in Sirte aufgab, um seine Heimatstadt zu verlassen, die letzte hart umkämpfte libysche Stadt. Ein Konvoi von etwa 75 Fahrzeugen sei in Richtung Westen aufgebrochen und konnte den Belagerungsring um die Stadt durchbrechen.
Nur wenige Kilometer dahinter jedoch wurde der Konvoi offenbar angegriffen. Der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet sagte, französische Kampfflugzeuge hätten die Fahrzeuge "gestoppt". Ein US-Vertreter teilte mit, dass auch eine US-Drohne des Typs Predator eine Rakete auf den Konvoi abgefeuert hätte.
Aus einer Mitteilung der Nato geht hervor, dass Nato-Flugzeuge zunächst ein Fahrzeug beschossen hätten, "um die Bedrohung zu verringern". Angaben über die Nationalität der beteiligten Flugzeuge machte das Bündnis nicht. Anschließend hätte sich der Konvoi aufgeteilt, die gepanzerten Fahrzeuge seien in verschiedene Richtungen gefahren. Sie seien mit "einer erheblichen Menge von Waffen und Munition beladen" gewesen, heißt es.
Eine Gruppe von 20 Fahrzeugen sei daraufhin mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Süden gefahren. Nato-Flugzeuge hätten auf diese Fahrzeuge geschossen und etwa zehn davon zerstört. "Zur Zeit des Angriffs wusste die Nato nicht, dass sich Gaddafi in dem Konvoi befand", heißt es in der Mitteilung.
Aufständische nahmen Gaddafi gefangen - verletzt oder unverletzt?
Schnell hatten Aufständische den Schauplatz der Luftangriffe erreicht. Sie nahmen Gaddafi lebendig gefangen. Wie sie ihn jedoch in ihre Gewalt bekamen, darüber gibt es verschiedene Berichte. Nach Aussagen des Militärrat-Sprechers von Misrata, Fathi Baschaga, sollen Rebellen das Fahrzeug des ehemaligen Machthabers umzingelt und nach einem Feuergefecht den verwundeten Gaddafi herausgezogen haben.
Der Kommandeur der Truppen des Übergangsrats in Sirte, Mohammed Leith, berichtete hingegen, Gaddafi sei aus einem Jeep geflohen, der beschossen wurde, und habe sich in einem Abwasserkanal versteckt.
Auch der Chef der Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, sagte nach Angaben des Nachrichtensenders al-Dschasira, Gaddafi habe sich in Sirte in einem großen Wasserrohr aus Beton versteckt.
Einstiger Diktator in Libyen getötet:Gaddafis letztes Versteck
Zeigen diese Bilder die letzten Stunden des ehemaligen Diktators? Es sind Aufnahmen aufgetaucht, die das Ende Gaddafis dokumentieren sollen. "sueddeutsche.de" hat sich dagegen entschieden, Nahaufnahmen des getöteten Diktators zu zeigen. Fotos dokumentieren jedoch die Stationen zuvor - wie das vermutliche Versteck des früheren Machthabers und seinen goldenen Revolver - und die Reaktionen danach.
Als ihn die Revolutionstruppen dort entdeckt hätten, sei Gaddafi "bei guter Gesundheit gewesen" und ihnen entgegengetreten. In seinen Händen soll er eine Pistole oder eine Pistole und eine Kalaschnikow gehalten haben.
Leith berichtete, Gaddafi sei anschließend von Kämpfern des Übergangsrats beschossen und an der Schulter und am Bein getroffen worden. "Danach starb er."
Dschibril hingegen sagte, Gaddafi sei auf einen Pickup gebracht worden, nachdem er aus dem Abwasserrohr getreten war. Erst als das Fahrzeug losfuhr, sei eine Schießerei zwischen Gaddafi-Anhängern und Gegnern ausgebrochen. In diesem Feuergefecht habe Gaddafi einen Kopfschuss erlitten und sei schwer verletzt worden. Ob er beim Eintreffen im Krankenhaus in Misrata noch am Leben war oder kurz zuvor an schwerem Blutverlust gestorben ist, darüber gibt es widersprüchliche Angaben.
Videoaufnahmen zeigen blutüberströmten Gaddafi
Dass Gaddafi inmitten von Kämpfern noch am Leben war, zeigen Videoaufnahmen der arabischen Fernsehsender al-Arabija und al-Dschasira. Darin ist ein offenbar verwundeter Gaddafi zu sehen. Er wird von der Kühlerhaube eines Fahrzeugs gezogen und von Milizionären umringt, die ihn wegzerren. Gaddafi scheint dabei noch auf eigenen Beinen zu stehen und zu wanken. Sein Hemd ist blutgetränkt. Er scheint zu sprechen und seine rechte Hand zu bewegen.
Andere Quellen beschreiben Videos, auf denen Blut auf Gaddafis Gesicht und Schultern zu sehen ist. Er sei hin- und hergeschubst worden. Ein Kämpfer habe ihm eine Pistole an den Kopf gehalten. Ob er abdrückte, sei nicht zu erkennen gewesen. Anschließend sei auf den Aufnahmen zu sehen, wie Gaddafi auf einen Pickup gezogen wird.
Spätere Aufnahmen sollen sogar zeigen, wie Gaddafis Leiche über den Bürgersteig gerollt wird.
Ein Mitarbeiter des Übergangsrates behauptete, Kämpfer hätten Gaddafi sehr brutal verprügelt und dann getötet. "Das hier ist Krieg", sagte er.
Nach Einschätzung eines Arztes im Krankenhaus von Misrata, der Gaddafis Leiche untersucht habe, starb der Ex-Machthaber durch "Schüsse aus nächster Nähe in Kopf und Bauch", berichtete al-Arabija. Dies könnte auf eine Hinrichtung nach der Gefangennahme hindeuten.