G-20-Gipfel:Obama, der Unnahbare

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Barack Obama nimmt auf alte Allianzen keine Rücksicht, der US-Präsident kalkuliert lieber kühl. Die alten Verbündeten haben das Nachsehen: Europa ist kaum noch gefragt.

Christian Wernicke

Die Person passt zur Politik. Und umgekehrt: Der Kurs gehorcht dem Charakter. So cool und unaufgeregt dieser Barack Obama daherkommt, so kalt und kalkulierend geht dieser US-Präsident mit der Welt um. Sojourner nennen Amerikaner einen solchen Einzelgänger, der nirgendwo zu Hause und überall nur Besucher auf Zeit zu sein scheint. Er ist stets umgänglich und angenehm, und bleibt doch distanziert und unnahbar. Im kanadischen Toronto, das im Doppelpack bis Sonntag erst das Gipfelspektakel der Altreichen (G 8) und dann das Konklave der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) beherbergt, wird sich wieder beweisen: Dieser Mann kann mit allen - aber wirklich eng ist er mit niemandem.

Der Unnahbare: Barack Obamas politische Freundschaften sind eher lauwarm. (Foto: ap)

Nach 17 Monaten im mächtigsten Amt auf Erden hat Obama unter seinen Kollegen noch nicht eine Freundschaft geknüpft, deren Temperatur mehr als laue Wärme ausstrahlt. Diese Bindungslosigkeit im persönlichen Umgang spiegelt sich konzeptionell in Amerikas Außenpolitik wider. Obama hat verinnerlicht, wie geschwächt seine Nation ist. Die Kriege in Afghanistan und im Irak sowie die Weltfinanz- und Wirtschaftskrise zeigen Amerika die Grenzen seiner Macht auf. Zugleich erstarken neue Mitspieler: Global gewinnen Länder wie China und Indien an Einfluss, regional - etwa in Lateinamerika oder im Nahen Osten - streben Brasilien und Iran nach Dominanz. Also streckt Obama allen (nicht immer erfolgreich) die Hand entgegen, er sucht Machtausdehnung durch Einbindung und Kooperation. Das neue, radikal pragmatische Leitmotiv der Weltmacht heißt: geben und nehmen.

Auf alte Allianzen, auf überlebte Sentimentalitäten nimmt diese Politik keine Rücksicht. Allen voran die Europäer, als Nato-Verbündete über Jahrzehnte die privilegierten Partner, bekommen dies zu spüren. Sie erleben Washingtons Wetterwechsel als Kälte. Und frieren. Zwar hat Obama unter Europas Völkern neue Sympathien für die USA mobilisiert. Aber allmählich schwellen in den Staatskanzleien der Alten Welt die Klagen an: Dieser Präsident bemisst Europa schnöde nur noch nach seinem Nutzwert.

Nassforsch haben Obamas Unterhändler vor Toronto fast sämtliche Ideen vom Tisch gewischt, mit denen die Europäer die Finanzmärkte regulieren wollten. Deutschland wird als Parasit der Weltkonjunktur gegeißelt. Derweil basteln Obamas demokratische Parteifreunde im Kongress an einem Gesetz, das demnächst selbst engste Verbündete mit Sanktionen bedroht: Wer mit Teheran handelt, wird in Washington geächtet. Sogar am Hindukusch schießt Obama ohne Absprache: Der vorlaute Stanley McChrystal war nicht nur US-General, sondern auch Nato-Kommandeur. Vom Personalwechsel in Kabul erfuhren die Alliierten per Fernsehen. Europa hatte aufgeatmet, als George W. Bush das Weiße Haus räumte. Nun muss es lernen: Auch der Nachfolger sucht sich seine "Koalition der Willigen". Wie's gerade passt, bei Bedarf jede Woche neu.

© SZ vom 25.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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