Der Papst vor seiner Rede im Europaparlament mit seiner früheren Herbergsmutter Helma Schmidt und dem Parlamentspräsidenten Martin Schulz
(Foto: dpa)Immer wieder wird Franziskus von Applaus unterbrochen, der nicht überbordend gerät, aber deutlich zu vernehmen ist. Einige Abgeordnete bleiben stumm, andere spielen mit dem Handy. Manchen gefrieren die Gesichtszüge, wenn der Papst über Verschwendung und Flüchtlingsdramen spricht. Interessant ist nicht nur, dass er nicht nur seinen deutschen Vorgänger Benedikt XVI. mehrmals zitiert.
Franziskus spricht von Familien, lässt aber offen, ob es sich um Verheiratete, Alleinerziehende oder Homosexuelle handelt. Er redet von Humanismus und Christentum als Wurzeln Europas, er hebt die katholische Kirche nicht hervor. Und er räumt, mit Blick auf die Vergangenheit, "Konflikte und Fehler" ein. Franziskus spricht allgemein von Frieden, doch zur Ukraine-Krise konkret sagt er nichts.
In einer zweiten Rede, die er anschließend vor dem Europarat hält, schlägt er ähnliche Töne an. Er spricht von der "Würde der Arbeit", verurteilt Waffenexporte und redet von der Aufnahme von Migranten, die als Erstes die Annerkennung ihrer Menschenwürde benötigten. Besonders bemerkenswert ist folgende Passage des Argentiniers:
"Aus christlicher Sicht sind Vernunft und Glaube, Religion und Gesellschaft berufen, einander zu erhellen, indem sie sich gegenseitig unterstützen und, falls nötig, sich wechselseitig von den ideologischen Extremismen läutern, in die sie fallen können. Die gesamte europäische Gesellschaft kann aus einer neu belebten Verbindung zwischen den beiden Bereichen nur Nutzen ziehen, sei es, um einem religiösen Fundamentalismus entgegenzuwirken, der vor allem ein Feind Gottes ist, sei es, um einer "beschränkten" Vernunft abzuhelfen, die dem Menschen nicht zur Ehre gereicht."
Ein Papst, der meint, dass sich Vernunft und Glaube, Religion und Gesellschaft gegenseitig vor extremistischen Auswüchsen schützen sollten - und damit zur Kirchenkritik einlädt?
Ein Kirchenoberhaupt, der vor "religiösem Fundamentalismus" jeder Couleur warnt - und damit offenkundig auch die katholischen Betonköpfe miteinschließt?
Wahrlich, dieser Argentinier ist immer für Überraschungen gut.
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- Die Rede vor dem Europarat im Wortlaut finden Sie hier