Frankreich:Warum Hollande gerettet werden muss

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François Hollande zieht den Kopf ein und wartet auf bessere Zeiten - so erscheint es zumindest vielen Franzosen. (Foto: dpa)

Déjà-vu für Frankreich: Das Land fühlt sich in der Euro-Krise in die Dreißigerjahre zurückversetzt. Wieder schaukeln sich Krisen der Wirtschaft, Finanzen, Politik und Moral gegenseitig hoch. Die jüngsten Skandale haben die Atmosphäre noch mehr vergiftet. Hollande braucht Hilfe - von Deutschland und Europa.

Ein Kommentar von Stefan Ulrich, Paris

Was den Deutschen die Zwanzigerjahre bedeuten, sind den Franzosen die "années 1930": ein Menetekel. Vorboten heraufziehender Katastrophen. Die Weltwirtschaftskrise traf Frankreich damals später als andere Länder, dafür aber umso heftiger. Eine politische und moralische Krise verstärkte die wirtschaftlich-soziale Not. Reformen stockten. Affären und Skandale stießen die Bürger ab und trieben sie den Links- und Rechtsradikalen zu. Im Volk herrschte Hoffnungslosigkeit.

Heute haben etliche Franzosen ein Déjà-vu-Erlebnis. Auffallend viele Beobachter benutzen in diesen Tagen das Bild von den Dreißigerjahren, um die Nation aufzuschrecken. Wieder schaukeln sich Krisen der Wirtschaft, Finanzen, Politik und Moral gegenseitig hoch. Wieder wenden sich viele Menschen angeekelt von den etablierten Kräften ab, zum Nutzen der Radikalen. Und wieder wabert durch Frankreich ein Pessimismus, der noch viel gefährlicher ist als fehlendes Wachstum und zehn Prozent Arbeitslosigkeit. Die jüngsten Skandale, insbesondere die tolldreisten Lügereien des früheren Haushaltsministers Jérôme Cahuzac, haben die Atmosphäre noch mehr vergiftet. Zum Pessimismus kommt Verbitterung hinzu. Eine explosive Melange.

Jetzt wäre der Präsident gefragt. Er müsste den Franzosen den Weg weisen. Doch was tut François Hollande? Er zieht den Kopf ein und wartet auf bessere Zeiten. So empfinden es viele in Frankreich wie im Ausland. Ganz fair ist das nicht, weil Hollande auf seine vorsichtig-bedächtige Art durchaus einiges anpackt. Dieses Jahr stehen Reformen des Arbeitsmarkts, des Rentensystems und der Familienpolitik auf seinem Programm, alles schwierige Operationen. Es gelingt dem Präsidenten aber nicht, seiner Politik einen überwölbenden Sinn zu geben. Es ist kaum zu erkennen, was für ein Frankreich in welchem Europa er eigentlich will. Die Bürger möchten jedoch wissen, warum sie Opfer bringen müssen.

Hollande braucht eine Erzählung

Große Politiker, Staatsmänner zumal, zeichnen sich durch eine "Erzählung" aus, die ihrem Handeln Sinn stiftet. Charles de Gaulle verhieß den Franzosen "grandeur". Helmut Kohl war der "Kanzler der Einheit". John F. Kennedy inszenierte sich als jugendlicher Erneuerer Amerikas. Auch eine Nummer kleiner gilt: Nicolas Sarkozy versprach einen "Bruch" mit der verstaubten Chirac-Republik. Angela Merkel kämpft als "schwäbische Hausfrau" für Solidität im Euro-Haushalt. Was erzählt Hollande? Nichts? Das wäre arg wenig.

Der Präsident hat es, zugegeben, besonders schwer. Verfassung und Volk schreiben ihm eine überragende Rolle zu, die einst von de Gaulle geformt wurde. Der Staatschef soll die Nation verkörpern, inspirieren, führen und retten. Das muss ihn heute überfordern, weil die nationale Souveränität seit den Zeiten de Gaulles geschrumpft ist. Die Grenzen sind weggefallen, Wirtschaft und Finanzbranche agieren global. Die Währung wird nicht in Paris, sondern in Europa geprägt. Die Folge: Der Mann im Élysée kann nur noch sehr bedingt das Schicksal seines Volkes steuern. Er muss geradezu enttäuschen; auch Sarkozy hat das erlebt.

Rettet Hollande!

Langfristig wird sich die Republik überlegen müssen, ob sie die ihr verbleibende Macht auf mehr Schultern verteilt, um keine überzogenen Erwartungen in einen Einzelnen zu wecken. Mittelfristig aber wird sie mit diesem Präsidenten auskommen müssen. Das gilt auch für Deutschland und Europa. Sie sind darauf angewiesen, dass Hollande doch noch reüssiert. Die Europäische Union und ihr Euro mögen ein bankrottes Zypern und sogar ein blockiertes Italien aushalten. Ein gelähmtes Frankreich, das sich im eigenen Missmut badet, würde sie auf Dauer zerstören. Die Devise muss daher lauten: Rettet Hollande!

Helfen könnte, das deutsch-französische Tandem in Bewegung zu setzen. Zumindest nach außen verbreitet es seit Hollandes Wahl den Eindruck des Stillstands - zum Schaden beider Länder. Frankreich ist allein zu schwach, um Europa zu leiten. Deutschland wiederum ist paradoxerweise zu stark, um die EU allein zu führen. Ein einsam-dominantes Deutschland bringt die anderen Völker gegen sich auf. Die bedrückende Wut gegen Berlin in Griechenland oder Italien zeigt, dass sich Deutschland schleunigst einen Partner suchen muss, um die Verantwortung zu teilen. Dafür kommt nur Frankreich infrage.

Die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts wiederholt sich nicht. Die europäischen Staaten werden sich nie wieder in einem Bruderkrieg zerfleischen. Doch wenn die Menetekel nicht beachtet werden, erwarten Franzosen, Deutsche und alle Europäer andere Katastrophen.

© SZ vom 08.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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