Frankreich:Viele Kandidaten und ein Gespenst

Lesezeit: 3 min

Präsident Sarkozy ist in Frankreich unbeliebt wie nie. Doch weil die Sozialisten keinen Bewerber für die Präsidentschaftswahl finden, droht 2012 erneut ein Erfolg des rechtsextremen Front National.

Stefan Ulrich

Es ist nur ein Datum, der 21. April 2002, doch in Frankreich wird es als "spectre", als "Gespenst" gefürchtet. An jenem Sonntagabend verkündeten die Fernsehnachrichten eine Sensation. Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl siegte der konservative Amtsinhaber Jacques Chirac mit 19,9 Prozent der Stimmen. Auf Rang zwei kam, mit 16,9Prozent der Kandidat des Front National, Jean-Marie Le Pen. Der Rechtsextremist schaffte es damit in die Stichwahl. Die vielen linken Kandidaten, darunter der Sozialist Lionel Jospin, schieden dagegen aus. Es war eine düstere Stunde für die Demokratie und ein gespenstisches Debakel für die Linke.

Unbeliebt wie nie: Präsident Nicolas Sarkozy Anfang Februar in (Foto: dpa)

Seither schwebt der 21. April 2002 als böser Schatten über den Sozialisten. Die Furcht geht um, der Triumph des Front National könnte sich bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr wiederholen. "Das Risiko des 21. April besteht immer", warnt ein Sprecher der sozialistischen Kandidatin Ségolène Royal. Die Zersplitterung der Linken sei eine "Katastrophe", klagt die sozialistische Parteichefin Martine Aubry. "Der 21.April war kein Unfall, sondern das Ergebnis der Zwietracht der Linken und der Schwäche der Sozialisten", meint ihr Vorgänger François Hollande.

Dabei könnte die Linke der Wahl 2012 frohgemut entgegensehen. Präsident Nicolas Sarkozy unterbietet sich selbst seit Monaten bei den Meinungsumfragen. Obwohl er kämpft, die Provinz abklappert und zugleich als G-20-Präsident Weltpolitik betreibt, ist er unpopulärer denn je. Meinungsforscher prophezeien, gleich drei sozialistische Politiker würden Sarkozy deutlich schlagen: Aubry, Hollande und Dominique Strauss-Kahn, derzeit der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF).

"Wenn die Linke sich sammelt, wird sie am Ende des Weges siegen", sagt Aubry. Nur: Die Linke sammelt sich nicht. Im Gegenteil. Es werden schon wieder so viele Kandidaturen angemeldet, dass das Gespenst des 21. April zu grinsen beginnt. Die Sozialisten selbst müssen erst noch durch Urwahl festlegen, wer für sie antritt. Ein halbes Dutzend Kandidaten versucht, sich in Stellung zu bringen. Statt sich auf den Gegner Sarkozy zu konzentrieren, beschäftigen sich die Sozialisten mit sich selbst. Erst im Oktober werden sie ihren Kandidaten küren. Viele finden, das sei zu spät.

Einem schnelleren Prozedere aber verweigert sich der heimliche Matador Strauss-Kahn. Als Chef des IWF ist er verpflichtet, sich aus der nationalen Politik herauszuhalten. Sobald er seine Kandidatur für die Sozialisten anmeldet, müsste er zurücktreten. Das könnte ihm übel ausgelegt werden in einer Zeit, da die nationalen Haushalte wanken und Frankreich den Vorsitz der G-20- und G-8-Staaten führt. Also schweigt Strauss-Kahn und spielt auf Zeit.

Bislang galt der weltgewandte Wirtschafts- und Finanzexperte als Wunschkandidat der Franzosen für die Präsidentschaftswahl. Seit kurzem bröckeln seine Zustimmungswerte jedoch etwas ab. Offenbar irritiert es die Wähler, dass sich Strauss-Kahn nicht äußert zu den Problemen Frankreichs. Die Lücke füllen Aubry, Hollande und Royal, die sich alle Hoffnung auf die Präsidentschaft machen.

Auch in den anderen Oppositionsparteien fehlt es nicht an Ehrgeizigen. So möchte die frühere Untersuchungsrichterin Eva Joly das Bündnis der grünen Parteien in die Wahl führen. Ihr erwächst jedoch Konkurrenz im eigenen Haus - durch den Fernsehstar und Öko-Guru Nicolas Hulot. Er überlegt noch. Die grünen Wähler müssen sich gedulden.

Dafür weiß der Ex-Sozialist Jean-Luc Mélenchon bereits, dass er Präsident werden sollte. Mélenchon wird für die radikale Linke antreten und zählt auf die Unterstützung seiner "Partei der Linken" sowie der Kommunisten. Ob er bei einer Stichwahl einen sozialistischen Kandidaten gegen Sarkozy unterstützen würde, lässt er offen. Strauss-Kahn sei ein "Völker-Aushungerer" und eine "Katastrophe" für die Linke, schimpft er. Die Wirtschaftskonzepte des IWF-Chefs seien schlimmer als diejenigen Sarkozys.

Mélenchon kommt mit seinem schneidigen Antikapitalismus ganz gut an in Frankreich. Allerdings hat auch er Konkurrenz in seinem Lager. So will die "Neue Antikapitalistische Partei" des Ex-Briefträgers Olivier Besancenot mit einem eigenen Kandidaten antreten. Und gewiss wird auch noch der eine oder andere Führer einer ultralinken Splittergruppe den Finger heben.

Wenn Sarkozy immer noch Siegeszuversicht verströmen kann, so liegt das am erratischen Auftreten seiner Gegner. Der Präsident hofft, im ersten Wahlgang einen so großen Vorsprung zu erringen, dass ihm der Schub zum Sieg im zweiten Wahlgang verhilft. Allerdings muss er befürchten, dass ihm der Front National Stimmen nimmt. Der Front tritt 2012 mit Marine Le Pen an. Die Tochter des Parteigründers fischt einerseits im Bassin des Konservativen Sarkozy, andererseits im Becken der Linksradikalen.

In Frankreich gibt es traditionell eine starke antikapitalistische Strömung. Sie wird durch die Wirtschaftskrise verstärkt. Viele Franzosen machen die Globalisierung für ihre Probleme verantwortlich. Dies hilft Politikern, die einen stark regulierenden Staat, den Ausstieg aus EU und Euro und die Abschottung der Wirtschaft predigen. Es hilft Marine Le Pen.

Allerdings sind die anderen Parteien von 2002 her gewarnt. Noch hat Sarkozy Zeit, den Franzosen zu beweisen, dass er das Land reformieren und die Bürger zugleich beschützen kann. Noch können sich die Sozialisten hinter einem überzeugenden Kandidaten sammeln. Noch könnten die radikalen Linken erkennen, dass ihr Sektierertum nur dem politischen Gegner nützt. Was auch immer geschieht, ein Trost besteht schon heute. Ein Gespenst namens "21. April" wird 2012 nicht erscheinen. Die Wahl soll am 22. April stattfinden.

© SZ vom 09.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: