Frankreich unter Sarkozy:Die frustrierte Republik

Lesezeit: 2 min

Ist Frankreich noch zu retten? Präsident Sarkozy nimmt dem Land mit seinem Regierungsstil alle Reformbereitschaft. Und so hadert ein störrisches, verkrustetes Land mit sich selbst.

M. Kläsgen

Ist Frankreich noch zu retten? Da streiken die Fluglotsen, weil sie um ihr Privileg fürchten, mit 50 in Pension gehen zu können. Da streiken Arbeiter in Dünkirchen ganze sechs Monate lang. Wogegen? Nicht aus Protest gegen ihre Kündigung, sondern gegen die Verlagerung ihres Arbeitsplatzes in eine neue Fabrik am selben Ort. Und im ganzen Land gehen nach Schätzung der Gewerkschaften zwei Millionen Menschen auf die Straße, weil sie fürchten, das Rentenalter könnte sich von 60 auf 62 Jahre erhöhen.

Im dritten Jahr der Regierung Sarkozy bietet Frankreich genau das Bild, das der Staatspräsident aus der Welt schaffen wollte: Ein unreformierbares, verkrustetes Land hadert mit sich. (Foto: rtr)

Im dritten Jahr der Regierung Sarkozy bietet Frankreich genau das Bild, das der Staatspräsident aus der Welt schaffen wollte: Ein unreformierbares, verkrustetes Land hadert mit sich, jeder verteidigt seine Besitzstände mit Zähnen und Klauen. Verdüstert wird dieses Bild von Ereignissen, die sämtliche Klischeevorstellungen über Frankreich bedienen. Es schwelt die Affäre um die möglicherweise illegale Finanzierung von Nicolas Sarkozys Partei. Und Jugendliche liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei in Grenoble.

Die Polit-Affäre macht den Franzosen bewusst, dass Sarkozy nicht der Erneuerer ist, der er einst sein wollte. Stattdessen passt auch dieser Präsident wunderbar zu den Vorstellungen über die ewige Filz-Republik Frankreich. Sarkozy hatte zwar gelobt, den Klüngel endgültig aufzubrechen. Doch die "tadellose Republik", die er versprach, gibt es nicht. Stattdessen scheint noch alles viel schlimmer zu sein als unter seinem Vorgänger. Sarkozy erweckt nicht einmal den Anschein, ernsthaft Licht in die Affäre bringen zu wollen. Stattdessen beleidigt er mit seinen Aufklärungsmethoden den gesunden Menschenverstand. So bestellt er bei einer Regierungsbehörde einen Bericht, mit dessen Hilfe anschließend alle Vorwürfe hinweggefegt werden sollen.

Die Menschen, unter ihnen viele ehemalige Anhänger, durchschauen das und wenden sich enttäuscht ab. Man kann Sarkozy sicherlich nicht alles anlasten. Für die Wirtschaftskrise trägt er keine Verantwortung. Wohl aber hat er im Land ein Klima geschaffen, das zunehmend von Verunsicherung und Aggressivität bis hin zu latenter Gewaltbereitschaft geprägt ist.

Vor fünf Jahren bezeichnete er jugendliche Kriminelle in den Vororten der Großstädte als "Abschaum". Jetzt hat er den Stadtteil Villeneuve in Grenoble in einen Belagerungszustand versetzen lassen. Das mag kurzfristig effektiv sein. Probleme lassen sich mit der Hauruck-Politik aber nicht lösen. Vor allem aber nimmt er die Menschen im Land nicht mehr für sich ein und erzeugt keine Reformbereitschaft.

Eine einfühlsame, ausgewogene und als gerecht empfundene Politik wäre nötig, um die Menschen dazu zu bringen, bei den Reformen mitzuziehen. Die Aussichten auf eine am Ende erfolgreiche Rentenreform sind im Prinzip gar nicht schlecht. Vielen Franzosen leuchtet ein, dass ihr System modernisiert werden muss. Nur das Bauchgefühl sagt den Menschen etwas anderes. Die Stimmung ist so aufgeheizt, dass niemand Abstriche zunächst bei sich selbst akzeptieren will. Sollen doch die anderen anfangen. Warum nicht zuerst die Abgeordneten, deren Pension nach einer Legislaturperiode bereits so hoch ist wie die anderer nach einem langen Arbeitsleben? Es ist diese Stimmung aus Neid und Missgunst, die große Reformen schwierig macht.

Nun hat Sarkozy durch eigenes Ungeschick dazu beigetragen, auch die Reformwilligen zu vergrätzen. Auch unter seinem Mandat bleibt Frankreich ein störrisches, zweifelndes Land. Die Darbietung der Fußball-Nationalmannschaft bei der WM und die Rotlicht-Affäre um den Star Franck Ribéry raubt vielen den Glauben an ihre vielleicht letzten Vorbilder. Aber das Besondere an Frankreich sind nicht Sarkozy oder Ribéry. Bemerkenswert ist, dass der Staat trotz allem noch funktioniert.

© SZ vom 22.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Sarkozy im Abwind
:Der kleine Nick

Gerne inszenierte sich Nicolas Sarkozy als glamouröser Macher, nun muss er das Präsidentenamt an "monsieur normal", François Hollande, abgeben. Wie konnte Super-Sarko das passieren? Seine Karriere in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: