Frankreich:Auf der Suche nach sich selbst

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Brexit-Verhandlungsführer Michel Barnier will für die Republikaner bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2022 antreten. (Foto: Sebastien Salom-Gomis/AFP)

Konservative Ideen haben in Frankreich Erfolg, doch der Spielraum der Republikaner schrumpft. Noch dazu streiten zum Beginn der Wahlkampfsaison gleich fünf Kandidaten darum, die Partei anzuführen.

Von Nadia Pantel, Paris

In Zeiten, in denen ein Standardvorwurf an die Politik lautet, es ginge nur noch um Namen und Personen, nicht um Inhalte, stehen Frankreichs konservative Républicains an diesem Wochenende gut da. Für ihr Rentrée-Treffen, mit dem der Wiederbeginn der politischen Saison eingeläutet wird, haben sie ein inhaltliches Programm vorgelegt. Und auf Starauftritte der Parteigrößten verzichtet. Nur wirkt dies eher wie eine Entscheidung, die aus der Not geboren ist.

In dem Ideenprospekt, der auf dem Treffen verteilt wird, präsentiert sich eine Partei mit klar liberalen, rechts-konservativen Werten. Weniger Steuern, weniger Sozialabgaben für Unternehmen, eine in der Verfassung festgelegte Obergrenze für Einwanderung, härtere Regeln für Asylverfahren. Klimaschutz bedeutet für diese Partei: Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke und keine Subventionen mehr für Solar- und Windenergie. Für diese Politik gibt es in Frankreich eine stabile Wählerschaft. Meinungsforscher halten es nicht für sicher, aber doch für möglich, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin der Républicains es 2022 in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl schafft. Bei der Regionalwahl im Juni konnten die Konservativen alle von ihnen regierten Regionen halten. Ganz anders als Präsident Emmanuel Macron sind sie gerade in den kleineren Städten fest verankert.

Und doch agieren die Républicains zum Start des großen Präsidentschaftskampfes unglücklich. Sie wissen weder, wer für sie kandidieren soll, noch wie oder wann sie ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin küren wollen. In Frankreich hat das Rennen aufs Élysée begonnen, aber die Konservativen streiten noch vor der Startlinie herum.

Die Jungen laden ein, die Alten präsentieren die Lösungen

Im Pariser Parc Floral sieht zunächst alles sehr aufgeräumt aus. Schon von Weitem kann man erkennen, wo die Jugendorganisation der Republikaner zum Jahrestreffen einlädt. Man muss nur den Gruppen junger Männer in hellblauen und weißen Oberhemden folgen. Mehr als 1500 "Jeunes Républicains" haben sich angemeldet - die Partei will zeigen, dass ihr Potenzial beim Nachwuchs liegt. Auf den Podien lässt man dann aber lieber den Älteren den Vorrang. Die Jugend lädt ein, die Alten präsentieren ihre Lösungen.

Im Gedränge vor der Bar schüttelt mal Parteichef Christian Jacob Hände, dann die Ex-Ministerin, Ex-Europapolitikerin und Ex-Bürgermeisterkandidatin Rachida Dati. Auf ihren Jutebeuteln trägt die Jugend die Gesichter der konservativen Ex-Präsidenten Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy spazieren. Wer früher wichtig war, wird noch heute geliebt. Doch wem gehört die Zukunft?

Vier Männer und eine Frau werben um die Unterstützung der Républicains bei der kommenden Wahl. Nur sind zwei von ihnen, die frisch wiedergewählten Regionalpräsidenten Valérie Pécresse und Xavier Bertrand, mit großer Geste aus der Partei ausgetreten, um ihre Großformatigkeit zu unterstreichen. Ausgerechnet die beiden sind nun die Favoriten in den Umfragen.

Es gibt eine Parallele zum politischen Spätsommer 2016

Als zum Veranstaltungsbeginn ein Video der Regionalwahlsieger gezeigt wird, buhen die Jungrepublikaner Bertrand aus. Je selbstbewusster sich der Politiker aus Frankeichs Norden in den Medien gibt, desto düpierter ist die Partei, auf deren Unterstützung er trotz allem angewiesen ist. Anders als Bertrand ist seine Konkurrentin Pécresse am Abend zum Umtrunk eingeladen. Manche murren leise, wer kann, macht ein Selfie mit ihr. Die einzigen Kandidaten, die man bei dieser Veranstaltung an ein Mikrofon lässt, sind der Brexit-Verhandlungsführer Michel Barnier und der Abgeordnete Éric Ciotti.

Wobei Barnier und Ciotti nicht als Wahlkämpfer auftreten, sondern auf Podien zu Experten eingehegt werden. Barnier spricht über Außenpolitik, Ciotti über innere Sicherheit. Sollte man mit Zurückhaltung einen Präsidentschaftswahlkampf gewinnen können, hätte Barnier gute Chancen. Frankreichs Monsieur Brexit lässt im Gespräch stets den anderen den Vortritt, widerspricht nicht, als seine Parteikollegin Nadine Morano gegen den angeblich zu großen Einfluss Brüssels stichelt. Man dürfe "das Einstehen für Europa nicht den Macronisten überlassen", sagt Barnier. Im halbgefüllten Saal ist das Interesse mäßig. Applaus gibt es nur, als Barnier sagt, Europa müsse "die Völker, ihre Identität, ihre Sprache beschützen". Als wache die Partei erst dann auf, wenn einer klingt wie Sarkozy, der Identitätsfragen zum Kern der präsidialen Arbeit erhob.

Vergleicht man diesen politischen Spätsommer mit dem von 2016, dann fällt eine Parallele auf: Die Chancen stehen in Frankreich gut für Parteien und Personen, die auf konservative Werte und unternehmerfreundliche Politik setzen. Nur tun sich die Républicains schwer, diesen, ihnen eigentlich angestammten Platz auch tatsächlich zu besetzen. 2017 stolperten sie über die Affären und über die Sturheit ihres Kandidaten François Fillon. Gute vier Jahre später hat der liberale Macron viele ihrer Kernthemen besetzt. Und vom rechten Rand aus lockt Marine Le Pen diejenigen Wähler, die Einwanderung für Frankreichs größtes Problem halten. Der Spielraum der Républicains hat sich verkleinert. Bei der kommenden Wahl geht es nicht nur ums Gewinnen, sondern auch ganz grundsätzlich um die Existenzberechtigung der Partei.

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