Parlamentswahlen in Frankreich:Macron muss um absolute Mehrheit im Parlament fürchten

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Auch über ihr politisches Schicksal entscheidet die Stichwahl am Sonntag: Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

Vor der Stichwahl fahren die Unterstützer des französischen Staatspräsidenten schwere rhetorische Geschütze gegen die Konkurrenz auf. Insbesondere das Linksbündnis der Nupes könnte die Regierungsallianz in Bedrängnis bringen.

Von Nadia Pantel, Paris

Der Freitag ist vor jeder großen Wahl in Frankreich der Tag, an dem noch überredet und überzeugt werden darf. Und vor der zweiten Runde der Parlamentswahl sind die größte zu mobilisierende Gruppe die Nichtwähler. Etwas mehr als 50 Prozent der wahlberechtigten Franzosen hatten am vergangenen Sonntag darauf verzichtet, ihre Stimme abzugeben. Bei den unter 35-Jährigen waren es sogar 70 Prozent. Genau diese Altersgruppe versuchte die linke Nupes-Allianz in der Woche zwischen den Wahlgängen aufzurütteln. Und erklärte sie kurzerhand zur "Generation Nupes". So stand es wenigstens auf dem riesigen Banner, das der linke France-Insoumise-Chef gemeinsam mit dem Grünen Julien Bayou am Freitagvormittag über den Pariser Canal Saint-Martin spannte. Hier am Kanal trinken die jungen Menschen Wein aus Plastikbechern. Und vielleicht lassen sie sich ja doch noch in Richtung Wahlbüro schubsen.

Die Nupes (Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale), ein Bündnis, zu dem die France Insoumise, Europe Écologie les Verts, die Sozialisten und die Kommunisten gehören, kann am kommenden Sonntag laut Umfragen zwischen 179 und 225 Sitzen (von insgesamt 577) gewinnen. Das würde zwar nicht ausreichen, um Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dazu zu zwingen, eine linke Regierung zu ernennen, doch die links-grüne Allianz steuert darauf zu, die mit Abstand mächtigste Opposition in der Nationalversammlung zu werden.

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Die Parteien-Allianz hinter Macron hingegen muss um ihre absolute Mehrheit bangen. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode kam dem Parlament kaum Gewicht zu, da Macrons Partei La République en Marche nicht auf Unterstützung anderer Fraktionen angewiesen war, um das Programm des Präsidenten umzusetzen. Dieses Mal sehen die Prognosen Macron und seine Verbündeten (MoDem und Horizons) gemeinsam bei 252 bis 292 Sitzen. Sprich: höchstens knapp über der absoluten Mehrheit, die mit 289 Sitzen erreicht wäre. Bei weniger als 289 Sitzen wäre die Macron-Allianz bei jeder Abstimmung auf zusätzliche Stimmen angewiesen. Im Zweifel von den Républicains. Das würde nicht nur bedeuten, dass deutlich mehr Absprachen und Kompromisse nötig werden, sondern auch, dass Macrons Mitte, weil sie auf die Stimmen der Républicains angewiesen ist, weiter nach rechts rückt.

Widersprüchliche Aussagen aus der Ministerriege

Wie viel für Präsident und Regierung bei der Wahl am Sonntag auf dem Spiel steht, ließ sich bereits nach dem ersten Wahlgang erkennen. Statt klare Wahlempfehlungen auszusprechen, kamen aus der Ministerriege widersprüchliche Aussagen. So rief der Bildungsminister Pap Ndiaye dazu auf, "den Rechtsextremen keine Stimme zu geben", während die Regierungssprecherin Olivia Grégoire sagte, man werde "von Fall zu Fall entscheiden". In der Regierung scheint es keine Einigkeit darüber zu geben, ob die Rechtsextreme Marine Le Pen mit der linken Nupes-Allianz gleichzusetzen ist oder nicht. Um Abgeordnete von Le Pens Rassemblement National (früher Front National) in der Nationalversammlung zu verhindern, schlossen sich Frankreichs Parteien bei bisherigen Wahlen zum sogenannten "Front républicain" zusammen, zur Front der republikanischen Kräfte.

Diese Formel haben einzelne Macron-Anhänger nun auch auf die linke Allianz übertragen. So rief die Ex-Sportministerin Roxana Maracineanu diese Woche zu einem "front républicain" gegen ihre Konkurrentin von der Nupes, Rachel Keke, auf. Keke lag in der ersten Abstimmungsrunde mit 37,2 Prozent klar vor Maracineau (23,8 Prozent). Keke könnte die erste Putzfrau werden, die in die Nationalversammlung einzieht, die 48-Jährige führte 22 Monate lang einen Housekeeping-Streik in einem Ibis-Hotel an und erkämpfte so bessere Arbeitsbedingungen. Maracineau bezeichnet ihre Konkurrentin Keke als linksextrem.

Auch die Umweltministerin Amélie de Montchalin, deren Wiederwahl - und folglich auch ihr Amt - wegen eines Nupes-Kandidaten auf der Kippe steht, griff zu harter Rhetorik. Sie warf ihrem linken Konkurrenten, dem Juden Jérôme Guedj, vor, er befördere durch seine Zugehörigkeit zur Nupes-Allianz automatisch Antisemitismus und "die Unterwerfung unter Russland".

Neues Image als Umweltschützer

Macrons Team konzentriert sich in seinen Angriffen auf die EU-allergische Haltung des Nupes-Anführers Jean-Luc Mélenchon, der in der Vergangenheit durch Putin-freundliche und antisemitische Kommentare aufgefallen war. Präsident Macron nutzte seine Reise nach Kiew am Donnerstag gemeinsam mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz, dem italienischen Premier Mario Draghi und dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis, um sich als Staatschef mit internationalem Führungsanspruch zu zeigen. Eine Rolle, die bei französischen Wählern besonders gut ankommt.

Mélenchon hingegen setzte am letzten Wahlkampftag nicht nur auf die Mobilisierung junger Wähler, sondern auch auf sein neu geschaffenes Image als Umweltschützer. Dem Polit-Urgestein Mélenchon ist es gelungen, sich an die Spitze der französischen Klimabewegung zu stellen. Als er am Freitagmorgen sein Generation-Nupes-Plakat am Canal Saint-Martin ausrollte, stand in Paris die Luft - die erste heftige Hitzewelle des Jahres. "Die Regierung begreift nicht den Ernst der Situation", sagte Mélenchon. Die Premierministerin rate dazu, "Wasser zu trinken", statt Maßnahmen gegen die Klimakrise zu ergreifen.

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