Frankreich:"Lügen und Verdrehungen"

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Erste Stellungnahme vor Gericht: Frankreichs Ex-Premier Villepin bestreitet, gegen Präsident Sarkozy intrigiert zu haben.

Stefan Ulrich

Es sollte die Stunde der Wahr-heit werden und womöglich der Wendepunkt im französischen Polit-Prozess des Jahrzehnts. Nach vier Jahren Ermittlungen, die 40 Aktenbände füllen, erhielt der Hauptangeklagte Dominique de Villepin am Dienstag Nachmittag erstmals Gelegenheit, vor dem Strafgericht in Paris Stellung zu beziehen.

Braun gebrannt, selbstsicher und heiter wie meistens erklärte der ehemalige Außen-, Innen- und Premierminister vor der Sitzung, er sei glücklich, nun die "Lügen und Verdrehungen" entlarven zu können. Dann, hinter verschlossenen Türen, bestritt er Punkt für Punkt, im Jahr 2004 in eine Verschwörung gegen seinen alten Rivalen, den heutigen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, verstrickt gewesen zu sein. Auch habe es keine Einmischung des damaligen Präsidenten Jacques Chirac in die sogenannte Clearstream-Affäre gegeben.

Villepin antwortete den Richtern betont sachlich. Er beteuerte, nicht gewusst zu haben, dass bestimmte Dokumente die Sarkozy belasteten, gefälscht waren. Auch sei bei einem Treffen mit Mitangeklagten im Januar 2004, als er über angebliche Schwarzgeldkonten informiert wurde, nicht von Sarkozy die Rede gewesen.

Danach habe er erst wieder im Juli 2004 von der Affäre gehört. Die Anklage wirft dem 55 Jahre alten Ex-Regierungschef vor, sich an ei-nem Komplott gegen Sarkozy beteiligt zu haben. Dabei sollen Kontenlisten des Luxemburger Finanzinstituts Clearstream manipuliert worden sein, um den - falschen - Eindruck zu erwecken, Sarkozy lasse Bestechungsgeld aus einem Rüs-tungsgeschäft mit Taiwan im Ausland waschen.

Konkret halten die Staatsanwälte Villepin vor, er habe von Anfang an geahnt oder gewusst, dass die Listen gefälscht waren. Dennoch habe er die verfänglichen Unterlagen der Justiz zuspielen lassen, um Sarkozy in Schwierigkeiten zu bringen. Zudem soll er interveniert haben, um den Informatiker Imad Lahoud, den mutmaßlichen Fälscher der Listen, aus der Polizeigewahrsam zu befreien.

Der Mitangeklagte Lahoud bestritt am Dienstag im Prozess, die Kontenlisten insgesamt manipuliert zu haben. Er habe lediglich den Namen Sarkozys darauf gesetzt. Dies sei auf Wunsch von Jean-Louis Gergorin geschehen, der damals Vizepräsident des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS war. Gergorin steht ebenfalls vor Gericht. Er schob am Dienstag alle Schuld Lahoud zu und behauptete, er selbst habe genauso wie Villepin an die Echtheit der Dokumente geglaubt.

Auf den gefälschten Kontenlisten befanden sich die Namen etlicher prominenter Franzosen, darunter der damalige Finanzminister Sarkozy. Offensichtlich sollten sie diskreditiert und so als Konkurrenten beseitigt werden. Doch wer waren die Köpfe dieser Verschwörung? Villepin und Gergorin, wie die Anklage meint?

Auffallend ist, dass einige Persönlichkeiten auf der Liste Gegner Gergorins waren. Und Villepin war seinerzeit der große innerparteiliche Rivale Sarkozys um die Nachfolge Chiracs im Amt des französischen Präsidenten.

Sarkozy hat Anzeige gegen Villepin erhoben und tritt nun im Prozess als Nebenkläger auf. Dies wird bis hinein in seine Partei UMP kritisiert, da Sarkozy als Staatspräsident Garant der unabhängigen Justiz ist. Dies verträgt sich schlecht mit einer Rolle als Ankläger. Darüber hinaus ist dem gelernten Juristen Sarkozy vergangenen Woche ein Lapsus unterlaufen.

In einer Fernsehansprache an die Franzosen bezeichnete er die Angeklagten im Clearstream-Prozess, und damit insbesondere Villepin, als "Schuldige". Nun kritisieren auch Parteifreunde, der Präsident habe den Angeklagten Villepin vorverurteilt. Prompt zeigte Villepin den Staatschef in dieser Woche wegen Verletzung der Unschuldsvermutung an.

Bei dem Justizgefecht der zwei UMP-Politiker geht es nicht nur darum, alte Rechnungen zu begleichen. Die beiden Kontrahenten positionieren sich vielmehr bereits für die nächste Präsidentschaftswahl im Jahr 2012. Dann möchte Villepin seinen Parteifeind Sarkozy ablösen. Hierzu baut er sich gerade eine starke Bastion im Internet auf. In acht Foren sollen bis Ende 2010 ein "Programm für Frankreich" entworfen werden, das zu Villepins Präsidentschaftsprogramm werden könnte. Doch vorher werden noch die Richter sprechen.

© SZ vom 01.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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