Frankreich:Die Schildkröten-Allianz

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Der Anführer der frisch geeinten französischen Linken: Jean-Luc Mélenchon (Foto: THOMAS SAMSON/AFP)

In Frankreich hat sich die zerstrittene Linke geeinigt. Angeführt wird das Bündnis von Jean-Luc Mélenchon, der mit seinen Positionen auch das eigene Lager vor den Kopf stößt. Dennoch kann er bei den Parlamentswahlen im Juni auf Erfolge hoffen.

Von Nadia Pantel, Paris

Am Montag war Jean-Luc Mélenchons persönlicher Feiertag, es war der internationale Tag der Schildkröte. "Danke allen, die mir gratuliert haben," schrieb der linke Ex-Präsidentschaftskandidat Mélenchon auf Twitter und erinnerte all seine Mitschildkröten noch einmal an die zwei wichtigsten Termine der kommenden Wochen: Die zwei Runden der Parlamentswahl am 12. und 19. Juni. Um Mélenchons Schildkröten-Zuneigung zu verstehen, muss man die Fabel von der Schildkröte und dem Hasen kennen, die in Frankreich den Dichter Jean de La Fontaine berühmt gemacht hat. Die Story ist genau wie bei Hase und Igel: Der arrogante Hase denkt, er könne ein Rennen gegen die Schildkröte gewinnen, aber die ist schlauer, bescheidener und ausdauernder als er.

Der arrogante Hase ist auf Frankreichs Politik übertragen natürlich der frisch wiedergewählte Präsident Emmanuel Macron. Mélenchon hingegen erklärte sich schon vor Monaten zur Schildkröte. Bescheidenheit ist zwar sicherlich nicht erste Eigenschaft, die einem zum Rampentier Mélenchon einfallen würde. Schlau und ausdauernd? Ganz sicher.

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Die Präsidentschaftswahl war noch nicht einmal entschieden, da erklärte Mélenchon sie zwischen den zwei Wahlgängen schon für nebensächlich. Er hatte es mit seinem antikapitalistischen und radikal-ökologischen Programm in der ersten Wahlrunde auf 22 Prozent der Stimmen gebracht. Ein überraschend gutes Ergebnis, mit dem die Umfrageinstitute so nicht gerechnet hatten. Mélenchon lag nur einen Prozentpunkt hinter der Rechtsextremen Marine Le Pen. Schaut man auf die Zahlen, stand da dennoch einfach nur: Mélenchon hat die Stichwahl verpasst. Der 70-Jährige interpretierte es anders: "Wählt mich zum Premierminister!" Mit diesem Slogan wandte sich Mélenchon bereits Ende April an seine Anhänger, noch bevor Macron die Wahl gewann. Sprich: Egal, wer Präsident wird, die Macht gehört uns.

Seine Partei ist eher ein Fanclub

Nun, einen Monat später hat Mélenchon um seinen griffig-dreisten Slogan eine solide Kampagne und ein spektakuläres Bündnis gezimmert. Nein, in Frankreich wählt man keinen Premierminister, der Präsident bestimmt ihn. Doch wenn die Mehrheit im Parlament bei der Opposition liegt, zwingt diese Opposition den Präsidenten dazu, einen Premier aus ihren Reihen zu wählen. Hinter Mélenchon steht inzwischen nicht mehr nur die von ihm selbst gegründete France Insoumise (LFI), die eher ein Mélenchon-Fanclub ist als eine Partei, auch die Sozialisten, Frankreichs Grüne (EELV) und die Kommunisten unterstützen ihn.

"Nupes" heißt die neue linke Allianz: "Nouvelle union populaire, écologique et solidaire" - neue ökologische und soziale Volksunion. Will man es positiv sehen, dann gelingt den Linken endlich, woran sie seit Jahren scheitern: Sie tun sich zusammen. Die "Nupes"-Allianz kommt bei den aktuellen Umfragen für die Parlamentswahl auf ein Drittel der Stimmen. Das ist so viel, wie Grüne, Sozialisten, Kommunisten und Mélenchon gemeinsam hätten erreichen können, hätten sie es geschafft, sich für die Präsidentschaftswahl auf einen gemeinsamen Kandidaten oder eine gemeinsame Kandidatin zu einigen.

Bei allen Widersprüchen in der Allianz ist "Nupes" immerhin eines gelungen: Der neue Zusammenschluss zeigt, dass Frankreich eben nicht zwischen den Lagern nationalistisch versus liberal gespalten ist. Diese ideologische Spaltung wird von Macron und Le Pen zwar seit 2017 als zentraler Graben in der politischen Landschaft beschrieben, doch das Entstehen von Nupes und Mélenchons gutes Abschneiden bei der Präsidentschaftswahl zeigen, dass es eben auch noch eine starke linke Wählerschaft gibt.

Frankreichs Sozialisten fühlen sich verramscht

Weniger wohlwollend gesprochen kann man jedoch feststellen: Die neue linke Allianz steht auf Ruinen. Noch nie haben Frankreichs Sozialisten bei einer Präsidentschaftswahl ein so schlechtes Ergebnis eingefahren wie in diesem Jahr mit ihrer Kandidatin Anne Hidalgo. Die Pariser Bürgermeisterin kam auf 1,75 Prozent der Stimmen. Als der Parteichef Olivier Faure sich nun zum Bündnis mit Mélenchon entschied, wirkte das auf viele der "Elefanten" genannten Alt-Sozialisten wie ein Verramschen ihrer politischen Heimat. Schließlich ist Mélenchon mit seinem antikapitalistischen Kurs nicht nur deutlich linker als die Sozialisten, er hat die Partei spätestens seit der Präsidentschaft des glücklosen Kompromiss-Linken François Hollande zu seinem Erzfeind erkoren. Sozialisten, das sind, wenn man Mélenchon zuhört, schwächliche Erfüllungsgehilfen der kapitalistischen Ausbeutung.

Für die Sozialisten wiederum war Mélenchon in den vergangenen Jahren in erster Linie ein Nationalist, der hart und radikal gegen Deutschland und die EU stänkert. Tatsächlich wirkt es in Mélenchons Reden so, als gäbe es nur eines, was schlimmer ist als die französischen Sozialisten: die deutschen Sozialdemokraten. Und nun sortieren sich Sozialisten und Grüne in Frankreich hinter demjenigen ein, der offen dazu auffordert, EU-Regeln zu ignorieren, wenn sie nicht dem nationalen Interesse dienen. So wie es auch die nationalistischen Regierungen in Polen und Ungarn tun.

Auch aus der Nato will Mélenchon austreten. Seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat, ist der frühere Putin-Versteher Mélenchon (Russlands Eingreifen in Syrien begrüßte er) zwar außenpolitisch stiller geworden, doch die große Linie bleibt für ihn eine Weisheit aus den 80er-Jahren: Am Gefährlichsten ist der US-Imperialismus.

Für François Hollande, die erfolgreiche sozialistische Regional-Präsidentin Carole Delga und andere Schwergewichte der Partei wie Ex-Premierminister Bernard Cazeneuve war das Einsortieren hinter Mélenchon deshalb ein Schlag ins Gesicht. Und eine Abkehr vom proeuropäischen Kurs, den die Sozialisten immer pflegten. Doch die Allianz mit Mélenchon zeigt, wie schwach die Partei geworden war. "Nupes" ist kein Zusammenschluss aus Begeisterung, sondern aus Angst vor dem Verschwinden.

Viele sehen Mélenchons Erfolg mit Sorge

Auch Mélenchon braucht "Nupes" ein Stück weit aus Schwäche. Der extrem personalisierte Präsidentschaftswahlkampf passt gut zu einem Großredner wie ihm. Doch vor der Parlamentswahl steht seine France Insoumise vor dem Problem, lokal kaum verankert zu sein. Hier profitiert sie von den regional immer noch starken Strukturen der Sozialisten und Grünen.

Inhaltlich hat sich die neue linke Allianz nun auf ein Programm geeinigt, das dem stark ähnelt, mit dem auch Mélenchon in die Präsidentschaftswahl zog: ökologische Planwirtschaft statt Wirtschaftswachstum, Rente ab 60 Jahren, Anheben des Mindestlohns und der Gehälter im öffentlichen Dienst. Ein gewaltiger Strauß an Versprechen, die alle eine massive Neuverschuldung des Staates nötig machen. Der ökologisch-soziale Kurs ist jedoch auch nah an den Programmen von Grünen und Sozialisten.

Die Streitpunkte werden von der "Nupes"-Allianz benannt - doch ihre Lösung wird vorerst aufgeschoben. Eine gemeinsame Position gibt es weder zur EU-Politik noch zur Atomenergie (die Kommunisten wollen den Ausbau der Atomkraft, Mélenchon den Ausstieg). Diese Fragen sollen später im Parlament geklärt werden, heißt es in der gemeinsamen Erklärung, sprich: wenn es erst mal so viele linke und grüne Abgeordnete wie möglich ins Parlament geschafft haben. Auch wenn "Nupes" auf einen gewissen Erfolg hoffen kann: Einen Premierminister Jean-Luc Mélenchon wünschen sich laut Umfragen weder Anhänger der Sozialisten noch der Grünen. In Umfragen sagt die Mehrheit der Franzosen, dass sie Mélenchon für "autoritär" halten und sein Erfolg ihnen "Sorgen" mache.

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