Solche Momente sind rar geworden im Leben des François Hollande. Laut, lang, sogar rhythmisch wie im Sportpalast prasselt der Applaus auf Frankreichs Präsidenten nieder. Der Mann, laut Umfragen das unpopulärste Staatsoberhaupt in der Geschichte der V. Republik, genießt den Moment. Er lächelt, bittet sein Publikum im holzvertäfelten "Salle Wagram", dem ältesten Ballsaal von Paris, per Kopfnicken um Gehör. Schließlich ist er nicht zum Spaß hier. Vom Leben und vom Tod will er reden, von der Zukunft der Republik und - nicht zuletzt - von seiner eigenen.
Keine leichte Kost. "Die Demokratie angesichts des Terrorismus", prangt als sein Thema an der Saalwand. Und Hollande, der französische Kriegspräsident, kommt gleich zur Sache: "Wir werden siegen", lautet sein erster Satz. Eine gute Stunde redet der Präsident - darüber, "dass die Demokratie immer stärker sein wird als die Barbarei". Nur, einen Gutteil der exakt 64 Minuten ist zugleich ein anderer zu hören: Im dunklen Anzug steckt der Staatsmann, aber im weißen Oberhemd schwitzt der Genosse. Und Hollande, der Sozialist und Wahlkämpfer, zeigt sich empört, wie die rechte Opposition die Angst vor dem Terror ausschlachte "und die Prinzipien des Rechtsstaats und der Republik ruiniert". Frankreich, so versichern Präsident wie Parteimann, seien nur bei ihm in sicheren Händen. "Die Terroristen stellen uns nicht vor eine, sondern vor gleich zwei Herausforderungen", ruft Hollande in den Saal, "sie zu besiegen - und uns selber dabei treu zu bleiben!" Wieder applaudiert das Parkett. In den Stuhlreihen sitzen allesamt Wohlgesinnte, ausgewählt von zwei linken Stiftungen. Während Hollande auf dem Podium Fahrt aufnimmt, entspannt sich das Publikum. "Ich bin froh, dass der Präsident endlich kämpft", sagt hinterher anonym ein hochrangiger Genosse und grinst, "man spürt - Hollande hat noch Feuer, der will noch was."
Wären die Wahlen schon jetzt, käme der Amtsinhaber nicht mal in den Stichentscheid
Was aus ihm werden soll, darüber hadert Hollande mit sich selbst. Seit Monaten. Riskiert er, persönlich unpopulär und politisch mit der Linken zerstritten, eine neuerliche Kandidatur? Seit diesem Donnerstag ist die Antwort ziemlich klar. "Ich werde niemals zulassen, dass Frankreich sich selber zerstört, verfälscht oder kleinmacht", empört sich Hollande. Um dann hinzuzufügen: "Das ist der Kampf eines Lebens!" Seines Lebens. Also soll es wohl weitergehen nach dem Mai 2017, den Präsidentschaftswahlen.
Hollande steht unter Zeitdruck. Ausgerechnet er, der notorische Zauderer, muss handeln. Schnell. Andernfalls nämlich droht dem ersten Mann im Staate, in diesem Herbst auf der politischen Bühne in der zweiten Reihe zu verschwinden. Zu seiner Rechten tobt der Vorwahlkampf der Republikaner: Da balgen sich, sehr prominent und laut, sein Vorgänger Nicolas Sarkozy und Ex-Premier Alain Juppé um die Präsidentschaftskandidatur. Und längst drängeln auch im eigenen Lager, unter Hollandes Sozialisten, andere Aspiranten nach vorn: Gleich drei frühere Minister - zwei Linke sowie des Präsidenten bisheriger Ziehsohn, der sozialliberale Manuel Macron - versprechen Frankreich vollmundig eine "neue Zukunft, eine andere Epoche, von Mai 2017 an: die "Post-Hollande-Ära".
Die Lage für Hollande ist ernst, nicht nur wegen des Terrors. Eine neue Umfrage signalisierte dem Präsidenten am Mittwoch, wohin die aktuellen Trends ihn treiben - ins Abseits, in die Agonie! Wären jetzt Präsidentschaftswahlen, so käme der Amtsinhaber nicht mal in die Stichwahl. Abgeschlagen auf Platz drei würde er landen, hinter Juppé oder Sarkozy (und hinter Marine Le Pen, der Populistin vom Front National). Schlimmer noch, falls sein Mündel Macron ebenfalls anträte, bliebe Hollande gar nur Platz vier.
Also überwindet Hollande sich nun selbst. Die "zweite Sphinx im Élysée", so benannt nach seinem schweigsamen Idol François Mitterrand, versucht sich zu erklären. Wenigstens etwas, typisch Hollande: Zu viel Klartext - also die Ankündigung seiner Kandidatur - scheut er noch. Erst im Dezember will er seine Entscheidung verkünden. Dann erst weiß er, wer sein republikanischer Gegner sein wird ist und ob er sein Versprechen einlösen kann, "die Kurve der Arbeitslosigkeit umzukehren". Nach unten. Zwar rechnen drei von vier Franzosen fest damit, dass ihr Präsident wieder antritt (zugleich sagen acht von zehn Landsleuten, sie wollten ihn nicht länger). Offiziell jedoch bleibt Hollande aus dem Rennen. Noch.
Aber immerhin, der "normale Präsident", im Innern ein leidenschaftlicher Kaltblüter, lässt am Donnerstag Gefühle aufwallen. Reihenweise hatten seine Genossen ihn beschworen, er möge endlich mehr Passion und Pathos mobilisieren. "Er muss endlich Wut zeigen, aus sich herausgehen", riet Julian Dray, einer der engsten Wegbegleiter Hollandes.
Sonderlich aufregend klingt das nicht. Aber Hollande meldet sich als Stimme der Vernunft zurück
Also ballt Hollande die rechte Faust, wirbelt seine Arme durch die Luft, wenn er sich darüber empört, wie die oppositionellen Republikaner und der Front National sich mit fragwürdigen Vorschlägen für neue Internierungslager oder alte Sondergerichte zum Schutze der Staatssicherheit überbieten: "Als müsse man, um den Rechtsstaat zu verteidigen, ihn erst beschädigen." Hollande nennt keine Namen. Aber jeder im Saal weiß, dass der Präsident seinen Intimfeind und Amtsvorgänger Sarkozy meint, wenn er anprangert, niemand dürfe die Meinungs- oder Bekenntnisfreiheit einschränken oder die Unschuldsvermutung für muslimische Verdächtige aushöhlen - um "sie aber für sich zu reklamieren, wenn's um einen selbst geht". Das ist, sehr unpräsidentiell, eine Breitseite gegen Sarkozys Verwicklung in allerlei Affären. Das Publikum johlt. Und allmählich mutiert Hollandes republikanische Lehrstunde zu seinem ersten Kampagnen-Event.
Hollande glaubt, er habe da seine neue Rolle gefunden. Der Präsident als Beschützer der Republik, als Retter von Demokratie und Rechtsstaat. Er hat lange gesucht, er übt noch. Er weiß, dass er das Unmögliches versuchen muss - die Neuerfindung im alten Amt. "Die simple Kontinuität reicht nicht", hatte Hollande im August räsoniert, "ein zweites Mandat muss mehr sein als nur eine Verlängerung." Zumal, wenn die Bilanz der ersten Amtszeit miserabel ausfällt. Die neue Mission, für den zweiten Anlauf. "Die Wahl entscheidet sich an dieser Frage: 'In welchem Land wollen wir leben?'", sprach er. Die Angstmacherei der Rechten werde nicht genügen, um zu gewinnen: "Die Leute wollen Hoffnung."
Hollande versucht es, indem er die Einheit der Republik beschwört. Derweil, so merkt er an, wollten "die anderen" ausgrenzen - etwa die Armen, die Muslime, die Minderheiten. Sonderlich aufregend klingt das nicht. Aber der Präsident hat sich immerhin zurückgemeldet als Stimme der Vernunft. Mehr Hoffnung, als am Ende als Kandidat des kleineren Übels gewählt zu werden, hegt er selber nicht.