Mit stundenlangen Straßenblockaden und einer Menschenkette haben am Montag Hunderte Bürger der französischen Hafenstadt Calais für eine Räumung des Flüchtlings-Camps am Rande ihrer Stadt demonstriert. Bauern und Lkw-Fahrer sowie Einzelhändler und Hafenarbeiter warfen der Regierung in Paris vor, die notleidende Region am Ärmelkanal angesichts eines nationalen Problems allein zu lassen. In dem wilden Camp auf einer ehemaligen Müllhalde, dem sogenannten "Dschungel", sitzen nach Schätzung von Hilfsorganisationen bis zu 10 000 Migranten aus aller Welt fest, die zumeist nach England wollen.
Natacha Bouchart, die konservative Bürgermeisterin von Calais, nahm am Montag an den Protestmarsch teil. Sie forderte die Regierung auf, das Lager unverzüglich aufzulösen. Innenminister Bernard Cazeneuve hatte die Stadt erst vorigen Freitag besucht und dabei angekündigt, er wolle das Camp "schrittweise räumen" lassen.
Cazeneuve verfolgt eine Doppelstrategie. Zum einen setzt er inzwischen mehr als 2000 Mann von Nationalpolizei und Gendarmerie ein, um die Migranten allnächtlich am Vordringen in den Eurotunnel oder zu den Englandfähren im Hafen zu hindern. Zum anderen versucht die Asylbehörde, mehr Flüchtlinge zu einem Asylantrag in Frankreich zu überreden und auf Notunterkünfte zu verteilen. Seit vorigem Oktober wurden 5528 Migranten aus Calais in Bussen in alle Landesteile gebracht. Mit 40 bis 80 Neuankömmlingen pro Tag in Calais war die Zahl der Dschungel-Bewohner dennoch zuletzt rapide gestiegen.
Die Opposition möchte das Abkommen zum Grenzschutz mit London einfach kündigen
Frankreich verpflichtete sich 2003, in Calais für Großbritannien die Kontrolle von Reisenden auf die Insel zu übernehmen. Seit vorigem Jahr sind Hafen und der Bahnhof vorm Eurotunnel durch fünf Meter hohe Zäune und Videokameras gesichert. Die Migranten versuchen seither mehr denn je, auf Lkws zu klettern und sich zwischen der Ladung zu verstecken. Um den Verkehr zu stoppen, werfen sie Steine auf Autos, zünden sie Feuer auf der Fahrbahn an oder legen sie Bäume quer über die Straße.
Frankreich:Gewaltausbruch im "Dschungel" von Calais - zahlreiche Verletzte
Im Flüchtlingslager bei Calais gehen Flüchtlinge mit bloßen Händen, Messern und Eisenstangen aufeinander los. Zahlreiche Menschen werden verletzt, einer erleidet eine Schussverletzung.
Medienberichte über die Zustände in Calais schrecken längst auch Touristen ab: Hotels und Restaurants beklagen Einbußen von bis zu 40 Prozent, Einzelhändler von 30 Prozent. Vor allem britische Besucher bleiben aus. Bei den Regionalwahlen im vergangenen Dezember hatte der rechtsextreme Front National in Calais über 40 Prozent der Stimmen gewonnen.
Politiker der konservativen Opposition fordern inzwischen, das Grenzabkommen mit Großbritannien aufzukündigen und - zumal nach dem britischen Brexit-Votum - die Flüchtlinge nicht länger in Calais aufzuhalten. Die sozialistische Regierung lehnt einen Vertragsbruch bisher ab. Ausgerechnet Nicolas Sarkozy, der als damaliger Innenminister 2003 den Vertrag mit London ausgehandelt hatte, kündigte am Montag an, im Falle einer Wiederwahl zum Präsidenten werde er noch am ersten Tag im Amt nach London reisen und die Vereinbarungen aufkündigen.