Politik in Frankreich:"Eher cool als woke"

Lesezeit: 3 min

Frankreichs neuer Bildungsminister: Pap Ndiaye. (Foto: Imago/Julien Mattia/Le Pictorium/Imago/Le Pictorium)

Frankreichs neuer Bildungsminister Pap Ndiaye bringt die Rechten in Rage. Für Präsident Macron symbolisiert er den Aufbruch in einer ansonsten wenig überraschenden Regierung.

Von Nadia Pantel, Paris

Pap Ndiaye hat nicht das Zeug zum Provokateur. Der 56-Jährige Historiker neigt weder zu steilen Thesen noch dazu, laut zu werden. Wenn der angesehene Intellektuelle sich in Debatten einschaltet, dann versucht er, gedankliche Brücken zwischen den Lagern zu bauen. Dass seine Ernennung zu Frankreichs neuem Bildungsminister nun das gesamte Wochenende über Aufregung verursachte, sagt also weniger etwas über Ndiaye als über das Land.

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Kaum war Ndiayes Name genannt, begannen Rechte und Konservative, sich in Rage zu reden. Die Präsidentschaftswahlverliererin Marine Le Pen nannte die Ernennung Ndiayes "fürchterlich" und einen Beitrag zur "Zerstörung der Werte und der Zukunft des Landes". Der Republikaner Éric Ciotti nannte Ndiaye einen "Links-Islamisten". In den sozialen Netzwerken nahm die Empörung über den neuen Bildungsminister offen rassistische Züge an.

Der Vorwurf von rechts lautet, Ndiaye mache sich mit identitätspolitischen Gedanken aus den USA gemein und greife damit die Werte der Republik an. Eine Behauptung, die sich nicht halten lässt, wenn man Ndiaye zuhört oder sich ernsthaft mit seiner Arbeit auseinandersetzt. Zwar gehört Ndiaye zu den Vordenkern der aktuellen Anti-Rassismus-Bewegung in Frankreich, seit er 2008 den Essay "La Condition noire" ("Der schwarze Zustand") veröffentlichte. Doch Ndiaye legt wenig Wert auf Radikalität. In einem Interview mit Le Monde sagte er über das in Frankreichs konservativen Kreisen verschriene "Woke-Sein": "Ich teile einen großen Teil der Überzeugungen, wie den Feminismus oder den Anti-Rassismus, aber mir gefällt der moralisierende Diskurs und das Sektiererische mancher Aktivisten nicht." Er fühle sich "eher cool als woke".

Die Schule gilt in Frankreich als Stütze der Republik. Eine Tradition, in die sich auch Ndiaye einreiht

Als der 56-Jährige am Freitag ins Amt eingeführt wurde, galten seine ersten Worte Samuel Paty, "meinem Historikerkollegen", wie Ndiaye sagte. Paty, ein Lehrer, wurde 2020 auf offener Straße von einem Islamisten ermordet, sein Tod hat Frankreich tief schockiert. Die Schule gilt in Frankreich als zentrale Stütze der Republik. Eine Tradition, in die sich auch Ndiaye einreiht. Die Schule sei "schon lange meine Welt", sagte er in Bezug auf seine Mutter, die in einem Pariser Vorort als Lehrerin arbeitete. Er sehe sich selbst als Symbol der "Meritokratie", also des Aufstiegs durch Leistungsbereitschaft, wie ihn die französische Schule verspricht. Und auch als Symbol der "Diversität".

Ndiaye ist Sohn einer französischen Mutter, die als Kind von Bauern als Erste in ihrer Familie studierte. Ndiayes Vater kam als Student aus Senegal nach Frankreich und kehrte dann in sein Heimatland zurück, um dort als Ingenieur zu arbeiten. Erst bei einem Studienaufenthalt in den USA sei ihm mit Mitte zwanzig bewusst geworden, "dass ich schwarz bin", sagt Ndiaye.

Der USA-Aufenthalt wirft seine Karriere um. Statt wie geplant die Elite-Verwaltungshochschule ENA zu besuchen, wird er Spezialist für amerikanische Sozialgeschichte und forscht zur Position der Schwarzen in Frankreichs Gesellschaft. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sprach er 2018 darüber, wie zentral Sklaverei und Kolonialismus für Frankreichs Geschichte waren - und dass es gleichzeitig oft "als Angriff auf den Zusammenhalt der Nation gilt, wenn man nicht die positiven Errungenschaften Frankreichs betont". Es seien sich zwar "alle einig, dass Sklaverei schrecklich war, aber sobald man über Rassismus spricht und über die Ungerechtigkeiten, die aus der kolonialen Vergangenheit stammen, wird das ein kontroverses Thema".

Bevor Pap Ndiaye zum Minister ernannt wurde, war er Professor an der Pariser Politikhochschule Sciences Po. 2021 berief Macron ihn zum Direktor des Museums für Immigration. Ndiayes Schwester ist die preisgekrönte Schriftstellerin Marie NDiaye (Prix Goncourt 2009), die in Berlin lebt.

Als Bildungsminister erregt Ndiaye auch deshalb Aufsehen, weil er das politische Gegenteil seines Vorgängers Jean-Michel Blanquer verkörpert. Der Jurist Blanquer machte den Kampf gegen "Wokisme", also linke Identitätspolitik, zu seinem Steckenpferd und warnte vor einem vermeintlichen Vormarsch von "Links-Islamisten" an den Unis. Blanquer war zudem bei den Lehrergewerkschaften unter anderem wegen seines Managements der Corona-Pandemie verhasst. Das Hygiene-Protokoll galt als unübersichtlich, Änderungen wurden den Lehrern nicht direkt kommuniziert, sondern als Exklusivinformationen an Zeitungen gegeben. Die Ernennung Ndiayes wurde von den Lehrergewerkschaften wohlwollend, aber auch verhalten skeptisch kommentiert. Ndiaye symbolisiere zwar einen Bruch, was er jedoch konkret für die nötige Neueinstellung weiterer Lehrer bewirken könne, wisse man nicht.

In ihrer großen Mehrheit steht Frankreichs neue Regierung weniger für Aufbruch denn für Kontinuität. Der Mitte Mai wiedergewählte Präsident Emmanuel Macron setzt an den Schlüsselstellen auf bewährte Kräfte. Der auf einen medienwirksamen Recht-und-Ordnung-Kurs bedachte Gérard Darmanin bleibt Innenminister, der Konservative Bruno Le Maire behält das Wirtschafts- und Finanzministerium. Die erfahrene Diplomatin Catherine Colonna stößt als Außenministerin zwar neu zur Regierung, sie arbeitete zuvor jedoch bereits als Botschafterin in London für Macron. Die neue Premierministerin Élisabeth Borne verkörpert zwar eine kleine Revolution, weil sie erst die zweite Frau ist, die in Frankreich eine Regierung führt. Gleichzeitig war sie bereits in den vergangenen fünf Jahren Ministerin in Macrons erster Regierung.

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