Frankreich:404 Millionen vom Staat

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Eigentlich würde Christine Lagarde, ehemalige französische Finanzministerin, gerne IWF-Chefin bleiben. Die Affäre Tapie könnte ihr gefährlich werden. (Foto: Ernesto Arias/dpa)

IWF-Chefin Lagarde soll wegen einer umstrittenen Entschädigungszahlung an den schillernden Unternehmer Tapie der Prozess gemacht werden.

Von C. Wernicke und C. Hulverscheidt, Paris/New York

IWF-Chefin Christine Lagarde wird die Millionen-Affäre Tapie nicht los: Überraschend sieht sich die 59-jährige Französin nun doch einer Anklage vor dem Gerichtshof der Republik ausgesetzt. Der Vorwurf lautet auf strafbare "Fahrlässigkeit im Amt" in einem Fall von Missbrauch öffentlicher Gelder. Konkret wird Lagarde vorgeworfen, als damalige Finanzministerin unter Präsident Nicolas Sarkozy im Jahr 2008 einen außergerichtlichen Schiedsspruch gebilligt zu haben, der dem schillernden Unternehmer und früheren Politiker Bernard Tapie eine Entschädigung von 404 Millionen Euro zusprach. Noch im September hatte ein Staatsanwalt die Einstellung des Verfahrens gegen Lagarde empfohlen.

Sie wolle gegen das Verfahren per Widerspruch vorgehen, sagte Lagarde

Die Affäre Tapie geht zurück bis ins Jahr 1990. Damals erwarb Bernard Tapie den deutschen Sportartikelhersteller Adidas für umgerechnet 244 Millionen Euro. Ein Großteil der Kaufsumme lieh er sich bei der staatseigenen Bank Crédit Lyonnais. Drei Jahre später wollte Tapie, mittlerweile Minister und offenbar am Rande der Pleite, das deutsche Unternehmen wieder verkaufen. Als Gläubiger organisierte die Crédit Lyonnais den Verkauf, unter anderem an zwei eigene Offshore-Tochterfirmen. Später wiederum stieß die Bank das Unternehmen Adidas für dann 318 Millionen Euro an Drittkäufer ab - und Tapie fühlte sich betrogen.

Weil das Geldhaus später obendrein selbst pleiteging, richtete Tapie seine Ansprüche gegen den Staat. Dabei, so mutmaßten die Ermittler, habe der Geschäftsmann im Jahre 2008 auch seine freundschaftlichen Beziehungen zum damaligen Staatspräsidenten Sarkozy genutzt. Das heikle Dossier fiel in die Zuständigkeit der damaligen Finanzministerin Christine Lagarde.

In einer ersten Reaktion kündigte die Direktorin des Internationalen Währungsfonds an, sie wolle per Widerspruch gegen das nun eingeleitete Verfahren vorgehen. Die Nachricht aus ihrer Heimat trifft Lagarde zu einem heiklen Zeitpunkt: Die fünfjährige Amtszeit beim IWF endet im Sommer nächsten Jahres. Lagarde hatte am Rande der Herbsttagung des Währungsfonds in Lima kürzlich durchblicken lassen, dass sie an einer zweiten Amtszeit an der Spitze der Washingtoner Institution interessiert sei.

In einem anderen, kaum weniger spektakulären Verfahren in der nimmer enden wollenden Affäre Tapie hatte ein Pariser Berufungsgericht erst Anfang Dezember entschieden, der Unternehmer habe die millionenschwere Entschädigung aus der Staatskasse zu Unrecht erhalten. Tapie war von den Richtern verdonnert worden, die Summe von 404 Millionen (plus 300 000 Euro Gerichtskosten) an den Staat zurückzuüberweisen. Tapie erklärte daraufhin, er habe das Geld nicht mehr und stehe vor dem Bankrott.

Dass Lagarde - trotz einer gegenteiligen Empfehlung des Staatsanwalts vor drei Monaten - nun doch auf der Anklagebank landet, hat die Ermittlungskammer des Gerichtshofs der Republik entschieden. Denn die mit dem Fall seit Jahren beauftragten Untersuchungsrichter hatten sich dem Votum des Staatsanwalts widersetzt. Die Ermittlungskammer hat dazu auch die bisher zusammengetragenen Beweismittel geprüft.

Der Gerichtshof der Republik kümmert sich nur um ehemalige Regierungsmitglieder

Der Gerichtshof der Republik ist seit seiner Gründung 1993 ein Unikum im französischen Justizsystem: Vor seinen Schranken werden nur ehemalige Regierungsmitglieder wegen Verfehlungen im Amt abgeurteilt.

Der IWF in Washington lehnte es ab, sich zu der Anordnung des Gerichtshofs zu äußern. Kommunikationschef Gerry Rice erklärte, es stehe ihm nicht zu, laufende Rechtsstreitigkeiten in Frankreich zu kommentieren. Der IWF-Exekutivrat, dem Vertreter aus 24 Ländern angehören, darunter Deutschland, sei jedoch überzeugt, dass Lagarde trotz des anstehenden Verfahrens in der Lage sei, "ihre Pflichten wirksam zu erfüllen". Das Führungsgremium werde sich wie bisher schon auch künftig regelmäßig über den Gang der Dinge unterrichten lassen.

© SZ vom 18.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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