Ein Weltcafé ist schon eine ziemlich sonderbare Veranstaltung. In kleinen Gruppen sitzen Leute an Tischen - und diskutieren alle das Gleiche. Ihre drei brennendsten Fragen haben sich die Grünen bei ihrer Fraktionsklausur in Weimar auch bei so einem Weltcafé gestellt. Die Antworten sammelten sie auf Pappkärtchen, Gruppe für Gruppe, die Unterschiede waren nicht sehr groß. Es ging um die inhaltlichen Schwerpunkte des neuen Jahres, um die bevorstehenden Wahlkämpfe - und die wachsenden Angriffe insbesondere aus der Union. Letztere brandmarkt die Grünen seit Monaten als die Partei des Dagegenseins. Und die Antwort der Grünen? "Fröhliche Gelassenheit", sagt Fraktionschef Jürgen Trittin. "Cool bleiben", sagen andere aus der Fraktion. Nur so lasse sich verhindern, dass die Kampagne am Ende doch noch verfängt, im wichtigen Jahr 2011.
Die Grünen, so viel ist nun klar, sind auch gegen "dagegen", aber für "dafür". Auffällig sparsam gehen sie derzeit mit Fundamentalangriffen gegen Schwarz-Gelb um, und selbst Lieblingsthemen wie Atompolitik oder Stuttgart 21 wandern in Nebensätze - die klassischen Themen grünen Protestes. Stattdessen lebt ein anderer grüner Klassiker wieder auf: das Wort von der "Alternative".
Drei Tage lang berieten die Grünen in Weimar, und immer ging es um den positiven Überbau des Protestes von gestern. Anti-Atom? Beantwortet durch ein Papier zum Ausbau der Stromnetze, als Voraussetzung für mehr Ökostrom. Den öffentlichen Protest gegen hässliche Stromtrassen sollen nun unterirdische Stromkabel lösen. Stuttgart 21? Teil eines Konzepts zum Ausbau der Infrastruktur, der sich stärker am "tatsächlichen Bedarf" als an Prestigeobjekten einzelner Bundesländer orientieren solle. Baden-Württemberg lässt grüßen. "Wir wollen, dass Deutschland eine moderne Infrastruktur bekommt", sagt Fraktionschefin Renate Künast. Von wegen: dagegen.
Ganz ähnlich läuft es bei den Finanzen, wo die Grünen seit längerem gegen Steuersenkungen eintreten. Stattdessen soll nun eine Vermögensabgabe bei einer halben Million Vermögenden das einbringen, was die Krise die Deutschen kostete. "Wir sind dafür, dass die Lasten dieser Krise nicht bei künftigen Generationen landen", sagt Trittin - wenn das keine positive Botschaft ist. Das Konzept, das allein Millionäre und große Familienunternehmen beträfe, soll im ersten Halbjahr fertig werden, die Grundzüge stehen.
"2011 wird das Jahr, in dem die Alternative zu einer unsozialen, unökologischen Politik deutlich wird", heißt es in der "Weimarer Erklärung" zum Ende der Klausur. "Grün gegen Schwarz." Zielgruppe bleibt freilich weiter auch der Kreis der womit auch immer Unzufriedenen, nur eben jetzt ganz allgemein. So soll - wieder positiv gewendet - bessere Bürgerbeteiligung helfen, Widerstände gegen Großprojekte frühzeitig aufzufangen. "Wir müssen die Antwort finden auf die Wutbürger", sagt Fraktionsvize Bärbel Höhn. "Und das gelingt am ehesten mit Beteiligung." Bleibe Bürgern dagegen die Mitsprache verwehrt, "dann werden die Leute erst aufgerüttelt, wenn der Bagger kommt" - siehe Stuttgart 21.
Sonderlich kontrovers haben die Grünen bei ihrer Klausur nicht diskutiert, die Fraktion pflegt den Frieden. Vor sieben Landtagswahlen, zwei davon zumindest theoretisch mit Aussicht auf die Führung einer Regierungskoalition, wolle auch niemand der Partei mit unnötigen Debatten schaden, sagt einer aus der Fraktion. Die hohen Umfragewerte, sie wirken fast wie ein Schlafmittel auf die Freunde der internen Kontroverse; und sie beflügeln das Selbstbewusstsein. In ihrer Weimarer Erklärung proklamieren die Grünen sich zur "gestaltenden, gesellschaftsverändernden Kraft der linken Mitte", kein Wort mehr von der SPD. "Die Alternative zur schwarz-gelben Politik ist Grün." Großgeschrieben.