Dem "Schutz von Zivilisten" hat sich die Nato bei ihrer Mission in Libyen verpflichtet. So hat es der UN-Sicherheitsrat beschlossen. Für die Rettung von Schiffbrüchigen vor der libyschen Küste bräuchte die Allianz hingegen kein neues Mandat, wie für die Bombenflüge über Land. Jedes Schiff, auch jedes Kriegsschiff, ist verpflichtet, Menschen aus Seenot zu retten. Das verlangt schon internationales Recht. Daher wiegt der Vorwurf schwer, die Nato habe trotz entsprechender Aufforderung italienischer Behörden mehrere hundert Menschen auf einem havarierten libyschen Flüchtlingsboot ihrem Schicksal überlassen.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Nato mit solchen Anwürfen auseinandersetzen muss. Ende März hatten Flüchtlinge berichtet, sie seien, hilflos auf hoher See treibend, von der Besatzung eines Militärhubschraubers zwar entdeckt und zunächst mit Wasserflaschen und Keksen versorgt worden. Auf Rettung aber hätten sie vergeblich gehofft, auch von einem Flugzeugträger in Sichtweite. Die Mehrzahl der Flüchtlinge auf diesem Boot starb, wie die britische Zeitung Guardian herausfand. Die übrigen landeten wieder in Libyen - und dort im Gefängnis. Dies zeigt, was für die Menschen auf dem Spiel steht, die sich in den brüchigen Booten aufs Meer wagen.
Sie fliehen vor Gewalt und Krieg in Nordafrika und in ihren Heimatländern. Viele der Boatpeople stammen aus Konfliktstaaten wie Eritrea oder Sudan, nicht wenige waren Gastarbeiter bei Muammar al-Gaddafi, der sich um die Gäste nun nicht mehr kümmern mag. Der Strom der Flüchtenden wird erst nachlassen, wenn die Entwurzelten irgendwo Rettung gefunden haben. Darauf muss sich Europa einstellen.