Die ungarische Regierung hat mit Wirkung vom Dienstag die europäische Zusammenarbeit in Asylfragen aufgekündigt und die Rücknahme von Dublin-III-Flüchtlingen suspendiert. Bei einem Pressegespräch in Wien verkündete Regierungssprecher Zoltán Kovács, Ungarn sei "voll". Etwa 60 000 illegale Flüchtlinge seien in diesem Jahr bereits über die grüne Grenze gekommen, daher sei man nicht mehr in der Lage, der "Flüchtlingsflut" Herr zu werden. Aus "technischen Gründen" habe Ungarn daher in der Nacht zum Dienstag die EU-Nachbarn davon in Kenntnis gesetzt, dass die Rücksendung von Flüchtlingen nach Ungarn, die in Ungarn einen Asylantrag gestellt hätten, bis auf Weiteres ausgesetzt sei.
Ungarn, so Kovács, habe derzeit nur Kapazitäten zur Versorgung von maximal 3000 Flüchtlingen. Zwar blieben von den bisher 60 000, die 2015 ins Land gekommen und einen Asylantrag gestellt hätten, nur die wenigsten da; die große Mehrheit reise umgehend weiter. Wenn nun aber diejenigen, die beispielsweise weiter nach Deutschland oder Österreich reisten, im Rahmen des Dublin-Abkommens in Scharen zurückgeschickt würden, dann könne man viele von ihnen nicht mehr in andere Staaten außerhalb der EU abschieben, das habe sich als "schwierig" erwiesen.
Von 44 000 Asyl-Anträgen im Jahr 2013 hat Budapest nur 550 akzeptiert
Da die Asylbewerber aber in anderen europäischen Staaten versorgt würden, sehe man diese Maßnahme nicht als Menschenrechtsverstoß an. "Ungarn hat einfach nicht die nötigen Kapazitäten", sagte Kovács. Man habe die Nachbarländer bewusst nicht vorab informiert, weil das die Effektivität der Maßnahme beschädigt hätte. Seine Regierung befürworte zwar eine freiwillige Quote zur Aufteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU, setze sich aber vor allem für Asylzentren in Afrika und Asien ein, damit Wirtschaftsflüchtlinge gar nicht erst nach Europa kämen.
Im Wiener Innenministerium wird bestätigt, dass die Information aus Budapest, Dublin III einseitig außer Kraft zu setzen, am Montagabend eingegangen sei. Man gehe aber davon aus, dass es nach entsprechenden Konsultationen mit der ungarischen Regierung noch zu einer Klärung komme und auch Ungarn seine Verpflichtungen im Rahmen des Dublin-Abkommens weiter erfülle. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte jüngst angeordnet, in Österreich vordringlich jene Fälle zu bearbeiten, die unter das Dublin-Abkommen fallen, um sie in die Mitgliedstaaten abschieben zu können, in denen sie die EU zuerst betreten haben. Ungarn verweist darauf, dass dies meist über Serbien oder auch Bulgarien geschehe, viele Flüchtlinge aber etwa über Griechenland europäischen Boden betreten hätten, wo sie nicht registriert würden. "Das ist das Spiel", so der Regierungssprecher in Wien.
Zaun an der Grenze zu Serbien wird gebaut
Unterdessen werde alles Nötige vorbereitet, um den vergangene Woche angekündigten Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze so schnell wie möglich zu errichten. Zwar ist für kommende Woche eine gemeinsame Kabinettssitzung der serbischen und ungarischen Minister geplant, gleichwohl wurde Belgrad von der Ankündigung, einen 175 Kilometer langen Zaun zu bauen, überrascht. Kovács verwies darauf, dass der Zaun, den die bulgarische Regierung habe bauen lassen, den "Flüchtlingsstrom über die grüne Grenze nach Bulgarien hinein effektiv verringert" habe.
Nach Angaben österreichischer Experten für Asylfragen ist die ungarische Haltung gegenüber Flüchtlingen schon deshalb fragwürdig, weil Ungarn im Jahr 2013 zwar 44 000 Asylanfragen bekommen, aber nur 550 positiv beschieden habe. Zudem sei das Argument bizarr, man habe nur Kapazitäten für etwa 3000 Flüchtlinge. Die Maßnahme sei ein Affront gegen die gesamte EU.
Die EU-Kommission forderte die ungarische Regierung auf, umgehend ihre Entscheidung zu erläutern. Am Donnerstag beginnt ein zweitägiger EU-Gipfel, auf dem unter anderem der Umgang mit Flüchtlingen in der Staatengemeinschaft Thema sein soll.