Migration:Flüchtlingsunterkunft mit 840 Plätzen in Tempelhof eröffnet

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Container stehen im ehemaligen Flughafen Tempelhof. (Foto: Annette Riedl/dpa)

Hunderte Flüchtlinge kommen jeden Tag nach Berlin. In den Hangars in Berlin-Tempelhof gibt es deshalb nun eine neue Notunterkunft. Wie lange sie für Entlastung sorgen kann, ist offen.

Von Jonathan Penschek, Alexander Rothe und Stefan Kruse, dpa

Berlin (dpa/bb) - Dicht an dicht stehen Wohncontainer in einer riesigen Halle. In den Hangars des früheren Flughafens Berlin-Tempelhof, wo einst große Flugzeuge gewartet wurden, sollen nun bis zu 840 geflüchtete Menschen notdürftig unterkommen. Zwei Doppelstockbetten pro Raum, Spinde für Habseligkeiten, ein Tisch, Stühle, grelles Licht: Viel mehr haben die engen Räume nicht zu bieten. Wohlfühlatmosphäre kommt hier kurz vor Weihnachten nicht auf.

Die neue Unterkunft wurde laut Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) innerhalb von 16 Tagen bewilligt und erbaut und am Donnerstag eröffnet. Am Freitag sollen die ersten Bewohner einziehen. Sie illustriert eine Situation, mit der viele Kommunen in Deutschland schon eine geraume Zeit konfrontiert sind: Weil 2022 viel mehr Flüchtlinge ins Land kamen als zuletzt, werden händeringend Unterkünfte gesucht und eilig geschaffen. Die Qualität bleibt zugunsten der Quantität oft auf der Strecke.

In der Metropole Berlin ist es ein Wettlauf mit der Zeit. „Es gibt jetzt rund 30.000 Unterkunftsplätze in Berlin. So viele hat es noch nie gegeben in dieser Stadt“, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bei der Eröffnung in Tempelhof. 8000 Plätze seien dieses Jahr dazugekommen. Aber auch die dürften nicht reichen.

Weil die Unterkünfte praktisch voll sind, werden permanent neue gebraucht, wie Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Donnerstag nochmals deutlich machte. Container, Leichtbauhallen, leerstehende Hostels - nichts ist dabei tabu. Außer Turnhallen, wie Giffey und Kipping immer wieder betonten.

Zwischen 100 und 300 neue Schutzsuchende - die Angaben dazu variieren - kamen zuletzt jeden Tag in der Hauptstadt an. Allein im November waren es nach LAF-Angaben fast 3200. Einerseits handelt es sich um Asylbewerber aus Ländern wie Syrien, Moldau, Georgien, Türkei oder Afghanistan. Aber auch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine finden in der kalten Jahreszeit Tag für Tag ihren Weg nach Berlin.

Laut Giffey hat Berlin in diesem Jahr mehr 360.000 ukrainische Flüchtlinge erstversorgt, bis zu 100.000 sind nach Einschätzung von Fachleuten in der Stadt geblieben. Hinzu kamen bis Ende November 12 362 Asylbewerber. Für das Gesamtjahr dürften es doppelt so viele sein wie 2021. Alles in allem nahm Berlin damit mehr Geflüchtete auf als in den Jahren 2015/2016. Damals herrschte schon einmal großer Andrang.

Bilder wie damals, als Geflüchtete in großen Schlangen vor Ämtern ausharren mussten, unversorgt umherirrten und schließlich in Turnhallen ohne jede Privatsphäre leben mussten, will der rot-grün-rote Senat unbedingt vermeiden. Zu den Lehren von damals gehören neue, moderne Unterkünfte, aber auch bessere Ankunftsstrukturen wie das Ankunftszentrum in Reinickendorf.

Doch dieses ist momentan auch überlastet. Statt weniger Tage müssen Flüchtlinge drei bis vier Wochen auf Registrierung warten, Übernachtungsplätze vor Ort sind belegt. Um etwas Entlastung zu schaffen, sollen jetzt 200 Menschen von dort in die Hangars nach Tempelhof gebracht werden.

Am Dienstag hatte es im Ankunftszentrum einen Großeinsatz von Zoll und Polizei gegeben. Offiziellen Angaben zufolge ging es dabei um Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse des Wachpersonals. Im Raum stehen aber auch gegen Wachleute gerichtete Vorwürfe der Bestechlichkeit, Korruption, Gewalt und Erpressung. Laut Senatorin Kipping wird momentan noch geprüft, inwiefern die Vorwürfe haltbar sind. Zusätzlich solle aber die Präsenz von vertraulichen Beschwerdestellen in den Unterkünften erhöht werden.

Die Sprecherin der Initiative „Moabit hilft“, Diana Henniges, sagte, Berichte über Erpressung und Schikanen durch Sicherheitsleute auf dem Gelände in Reinickendorf überraschten sie nicht. Ihre und andere Initiativen der Flüchtlingshilfe nahmen schon seit Jahren Beschwerden aus unterschiedlichen Unterkünften auf. „Moabit hilft“ habe dieses Jahr bereits 174 Beschwerden gezählt, darunter Beanstandungen über Verhältnisse in den Unterkünften, aber auch Fälle psychischer und physischer Gewalt - bei letzteren seien ihr zwei Beispiele bekannt.

Sicherheitsunternehmen hätten „ein massives Gewaltpotenzial“, so Henniges. „Das sind oft unqualifizierte Kräfte, die nichts vom Thema Asyl verstehen.“ Sie würden häufig die Sprache der Geflüchteten sprechen und die Machtverhältnisse in den Einrichtungen zu ihren Gunsten ausnutzen.

Andreas Dzierzanowski, Geschäftsführer einer vor Ort tätigen Sicherheitsfirma, wies alle Vorhaltungen im Zusammenhang mit dem Ankunftszentrum in Reinickendorf zurück. „Die Beschuldigungen, die hier im Raum stehen (...), haben nichts mit der Arbeit hier zu tun“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist nicht bekannt, dass diese Vorwürfe jemals angesprochen wurden oder existent sind.“ Sollte das zutreffen, wäre das LAF aus seiner Sicht längst gegen entsprechende Dienstleister vorgegangen. „Das ist erstunken und erlogen.“

© dpa-infocom, dpa:221222-99-992911/3

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