Flüchtlinge an Europas Küsten:Gerettet, aber eingesperrt

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Ein fragwürdiger Erfolg: Schärfere Kontrollen haben das Flüchtlingsproblem Europas nicht gelöst, sondern nach Nordafrika verlagert.

Roland Preuß und Martin Winter

Die 31 Somalier waren bereits auf dem Weg nach Malta, doch dann entdeckte sie ein italienisches Kriegsschiff. Es schleppte das Boot voller Flüchtlinge zurück, wo sie von libyschen Polizisten als illegale Migranten festgenommen wurden. Die Libyer hätten ihn geschlagen und in ein Lager in der Wüste gesteckt, sagte ein Somalier, der sein Telefon in die Zelle schmuggeln konnte, dem Flüchtlingsdienst der Jesuiten auf Malta. Vor dem Ertrinken gerettet, aber eingesperrt - so scheint es mehr und mehr Flüchtlingen zu ergehen, die versuchen, übers Meer nach Europa zu gelangen.

Vor dem Ertrinken gerettet, aber dann eingesperrt: Die Flüchtlinge erwarten oft harte Konsequenzen (im Bild: Bootsflüchtlinge in Spanien) (Foto: Foto: Reuters)

Überwachung und Rückführung zeigen Wirkung

Jedenfalls ist es eine der Erklärungen dafür, dass an Europas Außengrenzen und vor allem im Mittelmeer und im Atlantik 2009 weniger Flüchtlinge umkamen als in den Jahren zuvor. Die Organisation Fortress Europe, die seit mehr als 20 Jahren anhand von Medienberichten die Toten zählt, kommt für das vergangene Jahr auf 283 Tote und fast 400 Vermisste - die in der Regel ebenfalls umgekommen sein dürften.

Im Jahr zuvor hatte die Organisation noch 1500 Tote genannt, 2007 waren es fast 2000. Spaniens Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba hat bereits vergangenen Samstag erfreut erklärt, der Zustrom aus Afrika sei um 46 Prozent zurückgegangen. In vier Monaten des Vorjahrs sei "kein einziger illegaler Immigrant auf die Kanaren" gelangt. Die stärkere Überwachung des Meeres und Abkommen zur Rücknahme der Flüchtlinge mit afrikanischen Staaten zeigten Wirkung, sagte Rubalcaba.

Starke Überwachung verringert Flüchtlingszahl

Tatsächlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Kurzfristig beeinflusst sicherlich die Wirtschaftskrise die Migrantenströme. Wer keine Chance sieht, in dem von Arbeitslosigkeit geplagten Europa einen Job zu bekommen, der überlegt es sich zweimal, den teuren und gefährlichen Weg übers Mittelmeer, den Atlantik oder über Kleinasien und Osteuropa auf sich zu nehmen. Spanien, einst Hauptziel der Wanderung aus Nordafrika, leidet unter 20 Prozent Arbeitslosigkeit, und selbst die illegalen Arbeitsplätze sind weniger geworden.

Mittel- und langfristig aber ist es eine Kombination aus schärferer Grenzüberwachung und Vertragspolitik, die die illegale Zuwanderung bremst. Seitdem die EU vor einem halben Jahrzehnt Frontex gegründet hat, wurde die Überwachung der Außengrenzen der EU deutlich verbessert. Frontex verfügt zwar weder über Flugzeuge oder Schiffe noch über Grenztruppen. Die Bewachung der Außengrenzen der nach innen ja grenzenlosen EU ist ausschließlich Sache der betroffenen Mitgliedsländer: Polen schützt die Grenze etwa zur Ukraine oder Italien die im Mittelmeer. Über Frontex aber beteiligen sich alle Mitgliedsländer an der Aufgabe.

Frontex ist so etwas wie eine Plattform für Solidarität. Glaubt eines der Länder, mit den Problemen an seiner Grenze nicht mehr allein fertigwerden zu können, dann kann Frontex eine zeitlich befristete joint operation organisieren. Diese hat es mehrmals im Mittelmeer gegeben. Mehrer EU-Länder stellten Schiffe, Aufklärer und Spezialeinheiten zur Verfügung, um etwa Malta bei der Kontrolle zu helfen. Die Erfahrung zeigt, dass allein diese stärkere Überwachung die Zahl der Flüchtlinge verringert hat.

"Das ging schlagartig"

Politisch versucht die EU, die Durchreiseländer der Flüchtlinge zur Kooperation zu bewegen. So wird etwa mit Libyen in einigen Projekten zusammengearbeitet, ein Vertrag wurde aber noch nicht geschlossen. Es gibt jedoch ein bilaterales Abkommen zwischen Italien und Libyen, das Tripolis im Zusammenhang mit einem 2009 geschlossenen Freundschaftsvertrag nicht nur mit Patrouillenbooten versorgt, sondern auch mit einer Menge Geld. Seitdem nimmt Libyen Bootsflüchtlinge zurück, der Zustrom übers Meer nach Italien hat deutlich nachgelassen. "Das ging schlagartig, offenbar fahren weniger Menschen in Nordafrika los", sagt Judith Gleitze, die in Palermo für die Organisation Borderline Europe die Lage von Flüchtlingen beobachtet. Auch Spanien hat mit Marokko und Mauretanien ähnliche Rücknahmeabkommen geschlossen. Marokko erhält beispielsweise Geld, um Flüchtlinge an der Küste am Ablegen zu hindern.

Ist die Abschottung Europas also ein Erfolg? Wolfgang Kreissl-Dörfler bezweifelt dies. "Das Problem der Flüchtlingsströme wird so nach Nordafrika verlagert", sagt der SPD-Innenexperte im Europaparlament, der mehrere Flüchtlingslager in der Region besucht hat. Nun würden viele illegale Zuwanderer eben in afrikanischen Staaten ausgebeutet oder eingesperrt, niemand wisse genau, was mit ihnen geschehe. "Die Libyer und die Marokkaner haben Flüchtlinge auch schon an ihrer Grenze in der Wüste abgekippt." Wie viele Menschen dann in der Wüste sterben, ist viel schwieriger zu erfassen als die Toten an Europas Küsten.

Laut Amnesty International droht vielen Migranten in Nordafrika Haft und Misshandlung, Beispiel Mauretanien: In einem Lager, das im Volksmund "Guantanamito" genannt werde, "sind mehr als 800 Flüchtlinge eingesperrt", sagt die Amnesty-Generalsekretärin in Deutschland, Monika Lüke. Ihre Organisation hat dort zahlreiche Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. "Ihnen werden grundlegende Rechte wie ein Gerichtsverfahren verwehrt, dann werden sie massenhaft abgeschoben", sagt Lüke.

Viele von ihnen, das zeigt die Erfahrung, werden jedoch wiederkommen: Sie versuchen, auf einem anderen Weg nach Europa zu gelangen. Vor allem im Meer zwischen der Türkei und Griechenland - ein Gebiet mit vielen kleinen Inseln - hat Frontex vergangenes Jahr bereits deutlich mehr Migranten registriert.

© SZ vom 27.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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