Flashmobs im Wahlkampf:"Yeah" - das letzte Mittel gegen Merkel

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Die Internetgemeinde protestiert mit Flashmobs gegen den drögen Wahlkampf - und zeigt, wie nützlich das Netz dabei sein kann. Die Parteien haben das Web bis heute nicht verstanden.

M. König, Berlin

Angela Merkel ist die meistbejubelte Politikerin Deutschlands. Egal, was die Bundeskanzlerin bei ihren Wahlkampfauftritten sagt, die Zuschauer rufen: "Yeah!"

Jubelnde Merkel-Anhänger sind nicht gleich jubelnde Merkel-Anhänger, wie die Kanzlerin bei diversen Wahlkampfauftritten bemerkt hat. Die Internetgemeinde hat Flashmobs organisiert, die nach jedem Satz Merkels ein lautes "Yeah!" zum Besten geben. (Foto: Foto: dpa / Montage: sueddeutsche.de)

Finanzkrise, Arbeitsmarkt: "Yeah!"

Familienpolitik, deutsche Einheit: "Yeah!"

Ein lautes "Yeah!". Nach jedem Satz. Wie bei den Beatles vor 45 Jahren.

So war es am vergangenen Freitag auf dem Hamburger Gänsemarkt, und so war es auch am Montag auf dem Marktplatz in Mainz. Und so soll es am Samstag in Berlin sein, wenn die CDU ihren Wahlkampfabschluss feiert.

Die Strategen der CDU sehen das mit gemischten Gefühlen: Die Zwischenrufer seien zwar nicht zahlreich, aber dafür sehr laut, heißt es aus dem Adenauer-Haus. Und es seien eben auch keine potentiellen Unionswähler, sondern Störenfriede, die einem Internetphänomen anhängen.

Es begann mit einem CDU-Plakat, auf dem für Merkels Auftritt in Hamburg geworben wurde. "Die Kanzlerin kommt" stand darauf. Ein Unbekannter fügte mit Filzstift in krakeliger Handschrift hinzu: "Und alle so: Yeaahh". Ein Foto des verzierten Plakats machte im Internet Karriere. Mehrere Blogger veröffentlichten das Bild, bald gab es ein passendes Yeah-Lied und Yeah-T-Shirts zu kaufen. Und die Yeah-Jünger trafen sich, um tatsächlich "Yeah" zu rufen, als die Kanzlerin kam.

Als "Flashmob" (zu Deutsch: Blitzauflauf) wird dieses Phänomen bezeichnet, bei dem sich wildfremde Menschen im Internet verabreden und zusammenkommen, um gemeinsam zu demonstrieren. Sie liefern sich Kissenschlachten in der Öffentlichkeit oder bleiben plötzlich regungslos stehen, um Passanten zu irritieren. Eine Flashmob-Party auf Sylt hatte Mitte Juni 5000 Menschen angelockt. Die Inselverwaltung stellte dem Initiator des Flashmobs 20.000 Euro für Aufräumarbeiten in Rechnung.

Flashmobs galten bislang als unpolitisch, jetzt richten sie sich gegen die Kanzlerin. "Wir fressen die Wahlkampfbotschaften nicht mehr einfach so, sondern wir spucken den Bullshit der Merkel ironisiert in Form eines 'Yeaahhs' zurück", schreibt René Walter, Betreiber des Blogs nerdcore.de. Auf seiner Website war das Bild des beschriebenen Wahlplakats zu sehen. Wie viele andere Internetnutzer ärgert er sich darüber, dass die Union Netzsperren eingeführt hat. Sie sollen Kinderpornographie eindämmen, werden von Kritikern wie Walter aber als wirkungslos erachtet. Sie sehen darin vielmehr einen Schritt in Richtung staatlicher Zensur.

Die Bloggerin Tanja Haeusler ( spreeblick.com) sagt hingegen, es habe "auch jede andere Partei treffen können. Die Leute haben sich gegen den zähen Wahlkampf gewehrt. Das war ein Befreiungsschlag."

Die Parteien haben nach amerikanischem Vorbild im Wahlkampf um die Internetgemeinde geworben, aber verstanden haben sie das Web nicht. Eine neue Studie der Universität Hohenheim kommt zu dem Schluss, die Internetseiten der Parteien seien "schön, aber unpraktisch". Die Positionen zu einzelnen Themen seien kaum zu finden, einige Texte erreichten "fast den Schwierigkeitsgrad einer politikwissenschaftlichen Doktorarbeit".

An dem eigenen Anspruch, im Internet bürgernah und barrierefrei zu sein, scheitern laut der Studie alle Parteien. Am besten schneidet dabei noch Die Linke ab, gefolgt von CSU, FDP, CDU und SPD. Die Grünen erreichen den schlechtesten Wert.

Hinter vorgehaltener Hand geben die Online-Wahlkämpfer längst zu, dass sich ihre Websites eher an Journalisten richten. Man wolle modern auftreten und für die Medien relevant sein, die Mobilisierung der Wähler finde jedoch auf der Straße und in traditionellen Medien statt. "Die Parteien benutzen das Internet zur Weitergabe von Pressemeldungen", kritisiert Blogger Walter. "So funktioniert es aber nicht."

Die Netzgemeinde fühlt sich missverstanden, jetzt schlägt sie zurück. Merkels Rede am Samstag in Berlin soll noch einmal mit "Yeah"-Rufen begleitet werden. Dann ist der Wahlkampf vorbei - und das Phänomen vermutlich auch. "Diese Hypes verschwinden so schnell, wie sie kommen", sagt Bloggerin Haeusler. Und auch im Konrad-Adenauer-Haus gibt man sich entspannt: "Die Milchbauern mit ihren Trillerpfeifen machen uns mehr Sorgen", sagt ein CDU-Wahlkämpfer.

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