Finnland:Good Bye, Lenin!

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Russlands Krieg gegen die Ukraine gibt Finnland einen Anlass, die Geister der Vergangenheit zu bannen und ungeliebte Statuen zu entfernen.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Manchmal bekommt man als Gemeinde Geschenke, die kann man kaum ablehnen, ohne diplomatische Verwerfungen zu riskieren. Und dann stehen diese Geschenke als öffentliche Statuen auf Plätzen herum, tonnenschwer und manchmal auch mit beträchtlichem historischen Gewicht.

Der Trierer Karl Marx, 5,5 Meter groß aus Bronze, ist solch ein Klotz. Ein Geschenk Chinas, offiziell eine Geste zum 200. Geburtstag des Denkers im Jahr 2018, möglicherweise aber auch ein Zeugnis der KP Chinas für den unaufhaltsamen Vormarsch des Marxismus in der Welt. Weswegen das Geschenk in den hitzigen Debatten im Trierer Stadtrat auch gerne als "vergiftet" bezeichnet wurde, bevor man sich der guten Geschäfte mit China erinnerte und doch noch ein Eckchen fand für den trojanischen Marx.

Die Finnen haben Erfahrung mit solchen Geschenken. Wobei bei ihnen stets Wladimir Iljitsch Lenin ans Stadttor klopfte, nicht Karl Marx. In den 70er Jahren fanden gleich mehrere Lenin-Statuen ihren Weg in finnische Kommunen - es waren Geschenke der sowjetischen Partnerstädte, Zeichen der ungleichen Freundschaft zu der die Sowjetunion Finnland nach dem Zweiten Weltkrieg genötigt hatte.

Es gibt in Helsinki auch einen Lenin-Park, es gibt in Tampere ein Lenin-Museum und es gibt im ganzen Land Plaketten und Straßen, die die Finnen an den Vater der bolschewistischen Revolution erinnern, und zugleich an die Zeit der sowjetischen Einflussnahme auf ihr Land. Eine Zeit, die die meisten Finnen heute gerne vergessen würden.

Der russische Überfall auf die Ukraine gibt ihnen nun den Anlass für einen Sturm auf die Statuen: Lenin geht es in Finnland an den Kragen. Im April schon hatte die Stadt Turku ihre Lenin-Statue entfernen lassen, damit war einzig noch der Lenin von Kotka übrig. Ein Werk des estnischen Künstlers Matti Varig übrigens, der den Bürgern von Kotka - damals Partnerstadt von Tallinn - 1979 einen Lenin schenkte, dem ausgerechnet der linke Arm fehlte, was mancher als heimlichen Dissens des Künstlers interpretierte. Der Statue half ihre womöglich subversive Schöpfungsgeschichte nicht. Vergangene Woche entschied auch Kotka: Lenin muss weg.

Die Bilderstürmer argumentieren, Lenin sei Symbol einer russischen Großmacht, die wieder einmal fremde Länder überfalle. Außerdem, so sagte ein Gemeinderat in Kotka, setze man mit dem Leninsturz auch ein Zeichen der "Unterstützung Finnlands für die Nato".

Nicht alle wollten der Argumentation folgen. Wieso denn, fragt etwa Kalle Kallio, Direktor des Lenin-Museums in Tampere, dürfe die Statue von Zar Alexander II in Helsinki stehenbleiben, Lenin aber nicht? Mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine hätten beide nichts zu tun, und der eine sei ebenso Autokrat gewesen wie der andere. Auch im Stadtrat von Kotka gab es Stimmen, die dafür plädierten, man solle den bronzenen Lenin als historisches Zeugnis stehen lassen.

Allein, der Wunsch nach einer Verbannung der alten Geister war stärker. "Wir wollen irgendetwas boykottieren, wissen aber nicht was", sagte Museumsdirektor Kalle Kallio dem Sender YLE. "Das beste wäre natürlich, unsere Autos nicht mehr vollzutanken, aber das schaffen wir nicht. Also stürzen wir uns auf Lenin."

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