Minister-Rücktritt in Finnland:"Gelinde gesagt, sehr peinlich"

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Ein Skandal zu viel: Am Mittwoch noch übersteht Vilhelm Junnila ein Misstrauensvotum, am Freitag tritt er zurück. (Foto: Lehtikuva/Reuters)

Rekord in Helsinki: Nach nur elf Tagen stolpert Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila über seinen Rassismus und seine Neonazi-Sympathien. Regierungschef Petteri Orpo ist schwer beschädigt.

Von Alex Rühle, Stockholm

Ein Rücktritt nach elf Tagen, das bedeutet wahrscheinlich gleich zwei finnische Rekorde: Noch nie war ein Minister kürzer im Amt. Nie aber hatte wohl auch eine Regierung einen verheerenderen Start. Vilhelm Junnila, der am 20. Juni zum Minister für wirtschaftliche Beziehungen berufen worden war, gab am Freitagvormittag seine Demission bekannt. Der Trümmerhaufen, den er hinterlässt, ist riesig.

Junnila ist langjähriges Mitglied der rechtspopulistischen Partei Wahre Finnen (PS), die bei den Wahlen im April mit 20,1 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft geworden waren. Regierungschef Petteri Orpo lag mit seiner gemäßigt konservativen Nationalen Sammlungspartei knapp vor ihnen. Orpo hätte auch mit den drittplatzierten Sozialdemokraten seiner Amtsvorgängerin Sanna Marin koalieren können. Orpo aber drängt auf Wirtschaftsreformen und einen strengen Sparkurs und sah wirtschaftspolitisch sehr viel mehr Gemeinsamkeiten mit der PS. Also schmiedete er mit den Rechtspopulisten, der Schwedischen Volkspartei und den Christdemokraten eine Viererkoalition.

Er wünscht sich "Klimaabtreibungen" in Afrika und Geld für die Veteranen der Waffen-SS

Nach Junnilas Ernennung kamen schnell Zweifel an dessen Eignung als Wirtschaftsminister auf, schließlich benutzte er in der Vergangenheit immer wieder rechtsradikale und rassistische Slogans, Chiffren und Anspielungen und trat auf einer Neonaziveranstaltung auf. All das war im Grunde bekannt. Erst als internationale Medien das Thema aufgriffen, ging aber auch in Finnland eine größere Debatte los.

Am Mittwoch schon gab es auf Antrag einer Abgeordneten der Grünen ein Misstrauensvotum - da stimmten noch 96 Abgeordnete für Junnila, nur 86 waren für seine Ablösung. Er konnte fürs Erste weitermachen.

Allerdings kamen weiterhin nahezu stündlich neue Skandale zutage. So hatte Junnila mehrfach im Parlament beantragt, dass ein Verein zur Unterstützung von Veteranen der finnischen Waffen-SS staatliche Zuschüsse erhalten solle. In einer Rede forderte er dazu auf, in Afrika "Klimaabtreibungen" zu fördern, das wäre schließlich "ein großer Sprung für die Menschheit". Diese Rede versuchte er am Freitagmorgen noch zu verteidigen, indem er sagte, sie stehe voll und ganz mit dem aktuellen Regierungsprogramm in Einklang.

Regierungschef Orpo ließ sich von den Ultrarechten vorführen

Laut staatlichem Rundfunksender Yle soll er auch seine Biografie gefälscht haben: Weder habe Junnila, wie von ihm angegeben, Politikwissenschaften studiert, noch sei, wie er auf seiner Website behauptet, von ihm "ein Start-up-Unternehmen in der Technologiebranche in Polen aufgebaut" worden. Am Donnerstagabend sagte dann der über alle Parteigrenzen hinweg respektierte Präsident Sauli Niinistö, die ganze Geschichte sei für Finnland "gelinde gesagt, sehr peinlich". Am Freitagmittag gab Junnila seinen Rücktritt bekannt.

Petteri Orpo, der neue Ministerpräsident, geht schwer beschädigt aus dieser Farce hervor. Statt ein Machtwort zu sprechen und Junnila zu entlassen, ließ er zu, dass Riikka Purra, die Vorsitzende des PS, seine Nationale Sammlungspartei (KOK) erpresst: Purra hatte den KOK-Abgeordneten vor der Abstimmung gedroht, die Koalition platzen zu lassen, sollten sie gegen ihren Minister stimmen. Sie hatte sich auch geweigert, einen Alternativkandidaten vorzuschlagen. Die KOK steht jetzt da als eine Partei, die einem Mann mit rassistischen Neigungen und engen Verbindungen in die rechtsextreme Szene die Treue hält. Und Orpo als ein Regierungschef, der sich in der ersten Woche von den Populisten vorführen lässt.

Mit dem Skandal in die Sommerpause

Auch die Koalition dürfte schweren Schaden davontragen: Schon in den Regierungsgesprächen waren die liberale Schwedische Volkspartei (RKP) und die PS mehrfach so heftig aneinandergeraten, dass es so aussah, als würden die Verhandlungen platzen. Die RKP tritt für die Rechte und Belange der schwedischen Minderheit ein, die PS will Schwedisch als zweite Amtssprache streichen lassen. Am Mittwoch warfen Anhänger der PS der RKP Verrat vor, weil deren Parlamentarier entweder gegen Junnila gestimmt oder sich der Stimme enthalten hatten.

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Die ebenfalls an der Regierung beteiligten Christdemokraten (KD), die strikt gegen Abtreibungen sind, hatten bei der Abstimmung am Mittwoch noch geschlossen für Junnila gestimmt. Erst als die Rede ans Licht kam, in der er den Vorschlag der "Klimaabtreibungen" gemacht hatte, sprach die KD-Vorsitzende Sari Essayah von "Ökofaschismus" und kündigte ihm jegliche Zusammenarbeit auf.

Das Parlament geht jetzt erst mal in die Sommerferien, die eigentliche Arbeit beginnt dann im Herbst. Petteri Orpo wird die Zeit brauchen, um die Wogen zu glätten. Am Freitagnachmittag zeigte er sich erleichtert über Junnilas Rücktritt und sagte, er sei fest davon überzeugt, dass seine Regierung weiterhin voll funktionsfähig sei.

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