FDP-Europawahlkampf:Aus Prinzip: Silvana

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Silvana Koch-Mehrin, FDP-Spitzenkandidatin für Europa, setzt alles auf sich selbst. Wem das zu einseitig ist, der hat die Mediendemokratie nicht verstanden, sagt sie.

Thorsten Denkler, Berlin

Sie zupft noch kurz ihren blassrosa Rock zurecht, bevor sie, begleitet von liberalem Beifall, ans Rednerpult tritt. Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart. Silvana Koch-Mehrin spricht über Europa.

Nicht nur die Worte müssen bei einer Politikerin sitzen, sondern auch die Haare. (Foto: Foto: ddp)

Die Vorzeige-Frau der FDP ist eine Erscheinung. Mit ihren 1,84 Metern überragt sie die meisten Damen und Herren im Bundesvorstand um einen halben Kopf. Selbst das scheint nicht zu reichen, sie trägt gerne noch hochhackige Stiefel dazu.

Silvana Koch-Mehrin setzt im politischen Alltagskampf alles ein, was sie hat: ihre Größe, ihre schulterlangen blonden Haare, dass sie "relativ gut" aussieht, wie sie sagt, natürlich auch ihren Intellekt und dass sie nicht auf den Mund gefallen ist. Alles für das nächste politische Ziel: Die FDP mit einem noch besseren Ergebnis in das Europäische Parlament zu führen als im Jahr 2004. Damals war es ein Ersteinzug nach vielen Jahren der Abstinenz. Und Koch-Mehrin war die Spitzenkandidatin.

Bis jetzt hat sie Erfolg. Vor wenigen Wochen wurde die dreifache Mutter erneut zur Spitzenkandidaten der FDP zur Europawahl im Juni gekürt, mit kaum zu übertreffenden 95,3 Prozent. Koch-Mehrin gehört heute zu den bekannteren politischen Gesichtern auf europäischer Ebene. Obwohl, vielleicht auch gerade weil sie Seiteneinsteigeri ist. Sie ist promovierte Historikerin, leitete eine Beratungsfirma.

Smarte Aufsteigerin

Koch-Mehrin gilt in der FDP als "Powerfrau der FDP": Mit ihren 38 Jahren führt sie die europäischen FDP-Abgeordneten an und ist stellvertretende Vorsitzende der liberalen Fraktion im EU-Parlament. Überdies sitzt sie im mächtigen Haushaltsauschuss und im Haushaltskontrollausschuss. Sie pendelt ständig zwischen Brüssel und Berlin hin und her. Parteichef Westerwelle nannte sie mal die "Jeanne d'Arc der FDP".

Eine glühende Kämpferin für die richtige Sache Kämpferin also? Kämpferin ja. Aber glühend, eher nicht.

Derzeit versucht sie das europäische Glühbirnenverbot zum Wahlkampfschlager aufzupumpen. Nicht weil es da noch etwas zu bewegen gäbe. Das Verbot ist längst beschlossen und wird nicht rückgängig gemacht werden. Sie hat immerhin bewirkt, dass sich der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments mit diesem Verbot noch einmal befasst hat. Das ist nicht viel. Aber in Brüssel gilt das schon als Erfolg. Wenn sie darüber spricht, ist ihr anzusehen, dass sie das auch weiß.

Die smarte Aufsteigerin ist mit dem parlamentarischen Alltag nicht richtig warm geworden. Als Unternehmerin hatte sie mehr als ein Dutzend Mitarbeiter. Entscheidungen hat sie mit sofortiger Wirkung getroffen. In Brüssel geht alles viel schleppender voran.

An manchen Auswüchsen beteiligt sich Koch-Mehrin gar nicht erst. Sie hat etwa noch keinen einzigen jener aufwändigen Berichte verfasst, die in Brüssel zur parlamentarischen Grundlagenarbeit gehören, aber meist ohne Folgen sind. Für derlei Kärrnerarbeit ist ihr wohl die Zeit zu schade.

Immer für Publicity gut

Auf manche Eu-Parlamentarier wirkt es ob solch partieller Arbeitsverweigerung verstörend, dass kaum ein deutscher EU-Politiker mehr Interviews gibt, öfter auf Titelseiten und in Talkshows zu sehen ist, als die attraktive Liberale.

Silvana Koch-Mehrin gehört zu den Lieblingen der Boulevardpresse. Ihr bisher größter Coup: Sie hat sich für den Stern nackt mit schwangerschaftsrundem Bauch fotografieren lassen. Der Öffentlichkeit verkaufte sie die Geschichte mitten in der Debatte um eine moderne Familienpolitik als "politische Provokation".

Später ließ sie Reporter für entzückende Home-Storys in ihr Brüsseler Reihenhaus. Die Bunte saß mit am Kaffeetisch, als im vergangenen Jahr ihr drittes Kind getauft wurde. Einmal fungierte sie als "Blattkritikerin" der inzwischen eingestellten Zeitschrift Vanity Fair und verriet dabei, dass sie noch nie ein Fan von Mickey Rourke war.

An der Seite ihres Lebensgefährten, des irischen Juristen James Candon, hat sie vor der Öffentlichkeit ihr Liebes- und Beziehungsleben ausgebreitet. Sie stand mit ihrer besten Freundin der Frauenfachzeitschrift Freundin Rede und Antwort (Thema: beste Freundinnen). Mit dem Schauspieler Sky du Mont ("Eyes Wide Shut", "Der Schuh des Manitu") stritt sie sich über die Rolle der Frau - ihr Lieblingsthema, seit sie Kinder und Karriere hat. Ihre Hobbys sind Yoga und Kickboxen.

Ihre Wähler haben sie erlebt in guten wie in schlechten Zeiten. Zu den schlechten gehörten die Wochen nach einer Totgeburt im Frühjahr 2007. Da stand sie plötzlich in der Kritik der Yellow-Press, ob sie sich und ihren Kindern nicht zu viel zumute. Es war natürlich die Bunte, die Entwarnung gab: Das Kind hatte einen Gen-Defekt. In den Augen einiger ihrer Kollegen in Brüssel führt Silvana Koch-Mehrin das Leben eines Soap-Stars.

Frauen und Männer in der Politik

Parteigenossen: Silvana Koch-Mehrin und Guido Westerwelle. (Foto: Foto: ddp)

Ein Restaurant am Berliner Prachtboulevard Unter den Linden. Koch-Mehrin bestellt Wiener Schnitzel pur mit etwas Salat. Dazu Wasser. Sie kennt die Fragen nach Koch-Mehrin und den Boulevardmedien. Und sie hält entgegen, dass sich auch andere Politiker in der Bunten ausbreiten: SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier etwa oder der neue CSU-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.

Das Grundproblem aber bleibt: Steinmeier und zu Guttenberg werden in erster Linie als Politiker wahrgenommen, die diesem Bild eine menschelnde Note hinzufügen wollen. Silvana Koch-Mehrin muss sich um die menschelnde Note keine Sorge mehr machen. Nur was sie politisch will, dass lässt sich nicht auf Anhieb sagen.

Sie kennt Brüssel - als Unternehmerin, als Lobbyistin. Das waren immer gute Zeiten für sie. Der Parlamentsbetrieb aber ist ihr auch nach bald fünf Jahren immer noch fremd. "Viele sind ja mit großer Leidenschaft dabei, wenn sie Anträge formulieren, obwohl sie mit denen nichts bewirken können, weil sie nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden sind", sagt sie.

Öfter mal was Neues

Anders gesagt: Koch-Mehrin kennt diese Form der Leidenschaft nicht. Dass derart nutzlose Anträge in einer Demokratie zur Willensbildung dazugehören, lässt sie zwar als Argument gelten - aber wenn schon, dann sollte wenigstens die größtmögliche Öffentlichkeit erzeugt werden. Alles ist nichts, wenn es keiner mitbekommt.

Warum will Sie sich überhaupt noch einmal in die Mühlen der EU begeben?

Sie denkt länger über die Frage nach als erwartet. Dann antwortet sie zunächst mit Sätzen wie, dass man sich einbringen müsse, wenn man etwas erreichen wolle und dass es nicht immer nur um einen selbst gehe, sondern um Ideale. Aber dann sagt sie auch: "Europa ist ein permanentes Weiterbildungsprogramm." Weiterbildung für was, das sagt sie nicht.

Vor einigen Woche kamen Grüchte auf, Westerwelle wolle sie als EU-Kommissarin Brüssel sehen, sollte er mit der CDU die Bundesregierung stellen. Sie hat umgehend dementiert, dass es solche Absprachen gibt. Aber schaden können ihr die Gerüchte nicht.

Dem CDU-Europaabgeordneten und einstigen Landesminister Werner Langen scheint die Motivationslage der liberalen Kollegin auch nicht ganz klar zu sein. Kürzlich sah er sich sogar genötigt, einen Beschwerdebrief an die FDP-Zentrale nach Berlin zu schicken. Mit sechs der sieben FDP-Vertreter in Brüssel könne man sehr gut zusammenarbeiten, schreibt Langenn. Nur Silvana Koch-Mehrin dagegen falle auf "durch vielfältige Abwesenheit", betreibe vor allem "Selbstdarstellung" und beschäftige "die deutschen Medien mit Nebensächlichkeiten ohne realen Hintergrund".

Alle gegen Koch-Mehrin

Der Vorwurf ist hart. Ihre Verteidigungsstrategie: der gezielte Gegenschlag. "Das sind Vermutungen von politischen Gegnern, die so auf ein Zitat in ihrer Heimatzeitung spekulieren", sagt Koch-Mehrin. Wieder ist die Medienöffentlichkeit das Maß der Dinge.

Und doch: Es liegt eine Spur zu viel Trotz in der Antwort. Ist die Power-Frau doch zu verunsichern? Sie kennt ihre Rolle, weiß, was von ihr erwartet wird. Sie soll der Europa-FDP ein Gesicht geben, ein möglichst wählbares - da sind Inhalte eher belastend. Ihre Wahlerfolge haben ihr immer recht gegeben, aber sie steht auch deshalb unter verschärfter Beobachtung. Die Zeit der Novizin ist vorbei. Der Gegenwind ist neu für sie.

Dass der rauer ausfallen könnte, als ihr lieb sein kann, daran ist sie nicht ganz unschuldig. Manchen im EU-Parlament gilt sie als Nestbeschmutzerin, weil sie gerne die Brüsseler Institutionen als solche in Frage stellt.

Sie stritt etwa gegen den Irrsinn, dass sich Europa mit Straßburg und Brüssel zwei Parlamentssitze leistet; da standen noch viele an ihrer Seite. Schwieriger wurde es, als sie gegen die angebliche Überbezahlung der Parlamentarier mobil machte.

Gezielte Attacke

Im November vergangenen Jahres ließ sie sich - mal wieder in der Bunten - über die einschlägigen Fachkenntnisse ihrer männlichen Parlamentarier-Kollegen im Rotlichtmilieu von "Strapsburg" aus. Da grollten sogar Grüne wie der um eine gezielte Verbalattacke nie verlegene Daniel Cohn-Bendit. Die Dame möge doch nicht länger herumziehen und die Würde des Hauses beschmutzen.

Später entschuldigte sich Koch-Mehrin für die Zuspitzungen. Ein PR-Erfolg bleibt die Aktion dennoch. Strapsburg ist zum geflügelten Wort für Straßburg geworden.

Mit anderen wichtigen europäischen Themen tat sie sich bisher nicht hervor. Es sei schon ein Erfolg, "dass wir als FDP mit sieben Abgeordneten bei 150 Parteien im Parlament so gut wahrgenommen werden". Und wer was erreichen wolle, der brauche die Medien. "Wenn die Bild in Brüssel ein Büro mit 20 Leuten aufmachen würde, dann würde sich da aber ratzfatz was ändern."

Im anstehenden Europawahlkampf wird es die Liberale mit der angeblich überbordenden Bürokratie der "Verbots- und Gebotsfetischisten" in Brüssel versuchen. Sie wolle ein "Europa der Bürger, kein Europa der Bürokraten".

Brüssel-Bashing funktioniert

Für Unfug etwa hält sie, dass die EU Glühbirnen und klimaschädliche Standby-Geräte verbieten will. Jeder Bürger zahle seine Stromrechnung und wisse selbst am besten, was er seinem Geldbeutel zumuten könne. "Ökodiktatur" nennt sie das.

Silvana Koch-Mehrin spielt so auf der Klaviatur der Europa-Skeptiker und setzt dabei ein Gesicht auf, als wäre alle Tage Sonnenschein. Sie ist sicher keine Europa-Gegnerin - dafür hat sie sich schon zu früh auf Europa konzentriert, quasi als Lebenskonzept verinnerlicht. Doch Kritik an den europäischen Institutionen bringt Aufmerksamkeit. Brüssel-Bashing funktioniert immer.

Verspräche ein anderer Weg mehr Erfolg, sie würde wohl schnell die Richtung wechseln. Und dafür sorgen, dass alle es mitbekommen.

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