Als am Abend des 27. Februar 1933 der Reichstag in Flammen aufging, waren sich Hitler, Göring, Goebbels, die kurze Zeit später am Tatort erschienen, einig: Das sei das Werk der Kommunisten, die mit dem brennenden Reichstag das Signal zum Aufstand geben wollten.
Noch in der Nacht wurde eine Verordnung "zum Schutz von Volk und Staat" ausgearbeitet, die am nächsten Tag vom Kabinett verabschiedet und von Reichspräsident Hindenburg unterzeichnet wurde. Mit der Reichstagsbrandverordnung wurden wesentliche Grundrechte der Verfassung außer Kraft gesetzt; schon in den Morgenstunden begannen die Verhaftungen nach vorbereiteten Listen.
Im brennenden Gebäude fand die Polizei einen jungen Holländer, Marinus van der Lubbe, der gestand, den Reichstag angezündet zu haben, um die Bevölkerung aufzurütteln.
Reichstagsbrand 1933:Demokratie in Flammen
Am Abend des 27. Februar 1933 brennt der Reichstag in Berlin und zerstört das Herz der jungen deutschen Demokratie. Hitler und die Nazis nutzen den Brand, um ihre Gegner auszuschalten und politische Grundrechte außer Kraft zu setzen. Bis heute streiten Historiker, wer das Feuer gelegt hat.
Später wurden noch Ernst Torgler, der Vorsitzende der kommunistischen Reichstagsfraktion, und drei Bulgaren, darunter der Kommunist Georgi Dimitroff, die sich gerade in Berlin aufhielten und sich angeblich verdächtig gemacht hatten, verhaftet und allen fünf Angeklagten im Herbst 1933 der Prozess gemacht.
Die polizeilichen Ermittlungen standen unter hohem politischen Druck, denn es sollte ja die Urheberschaft der Kommunisten bewiesen werden.
Marinus van der Lubbe sei ein Einzeltäter gewesen
Die Polizeibeamten Helmut Heisig und Walter Zirpins bemühten sich redlich, kommunistische Verbindungen zu finden. Letztlich liefen ihre Ermittlungen auf den Schluss hinaus, Marinus van der Lubbe sei ein Einzeltäter gewesen, obwohl kaum glaublich war, dass er in der Lage gewesen sein soll, eine solche Brandstiftung allein zu bewerkstelligen.
Insbesondere die Brandexperten waren von dieser These nicht zu überzeugen. Dimitroff gelang es im Prozess, Hermann Göring mit Fragen, die nahelegten, dass die Nationalsozialisten selbst den Reichstag angezündet hätten, zur Weißglut zu bringen und die NS-Führung in der Weltpresse zu desavouieren. Die Bulgaren und Torgler wurden freigesprochen; nur Marinus van der Lubbe wurde wegen Hochverrats und Brandstiftung zum Tode verurteilt und im Januar 1934 hingerichtet.
Noch vor dem Ende des Prozesses kam im Ausland ein "Braunbuch" heraus, veröffentlicht vom kommunistischen Pressemagnaten Willi Münzenberg, in dem die These von der nationalsozialistischen Brandstiftung medienwirksam verbreitet wurde. Allerdings stützte sich diese Behauptung mehr auf Vermutungen, Gerüchte und Widersprüche als auf Fakten.
Es finden sich zahlreiche Ungereimtheiten, Vertuschungen und Verfälschungen
Nun unternimmt der amerikanische Historiker Benjamin Carter Hett in einem spannenden Buch eine, wie der Untertitel heißt, "Wiederaufnahme eines Verfahrens".
Mit einem frischen, unbefangenen Blick von außen und auf der Grundlage jahrelanger Archivrecherchen rollt er den ganzen Fall noch einmal auf. Und siehe da, es finden sich zahlreiche Ungereimtheiten, Vertuschungen und Verfälschungen. Vernehmungsprotokolle wurden manipuliert, Widersprüche geglättet, Zeugenaussagen nicht berücksichtigt.
Auch nach dem Krieg, als Hans Bernd Gisevius, damals Beamter der Preußischen Politischen Polizei in Berlin, im Nürnberger Prozess 1946 aussagte, dass es veritable Hinweise auf SA-Leute als Brandstifter gab, die sogar Gisevius' Erzfeind Rudolf Diels, der erste Gestapochef 1933/34, bestätigte, wurde an der Frage der Täterschaft nicht mehr gerührt.
Alle Versuche von ehemals Verfolgten, van der Lubbe zu rehabilitieren, scheiterten. Vielmehr vernebelten Beteiligte wie Walter Zirpins, der an den NS-Verbrechen teilhatte und dennoch im bundesdeutschen Polizeidienst eine beachtliche Karriere machte, die Aufklärung des Geschehens.
Es war vor allem Fritz Tobias, ehemals von der SA terrorisiert, in der Bundesrepublik leitender Beamter im niedersächsischen Verfassungsschutz, der, offenkundig mit Billigung des Amtes und mit Unterstützung einstiger Gestapobeamter, engagiert den Nachweis von der Alleintäterschaft van der Lubbes zu erbringen suchte und jegliche andere Interpretation hart attackierte.
Heisig und Zirpins seien integere Polizeibeamte gewesen und hätten objektiv ermittelt; man müsse damit leben, dass ein Zufall Hitler die Diktatur beschert habe. 1959 machte eine Spiegel-Serie Tobias und seine Geschichte vom Reichstagsbrand weithin publik.
Benjamin Carter Hett spürt sehr genau dem damaligen Zeitgeist nach, der solche Thesen goutierte. Wenn ein Ausländer der Brandstifter gewesen sei, seien ja nicht die Deutschen für Hitlers Terror verantwortlich. Dass ein brillanter Historiker wie Hans Mommsen sich auf die Seite von Fritz Tobias schlug und bis zu seinem Tod an der Alleintäterschaft van der Lubbes festhielt, verfehlte in der Historikerzunft seine Wirkung nicht.
Wissenschaft beruht auf Vertrauen
Auch das Institut für Zeitgeschichte trug das Seine dazu bei, dass Kritik an Tobias ungehört blieb. Klug argumentiert Hett, dass Wissenschaft auf Vertrauen beruht und sich eine These halten kann, weil nicht jeder alle Primärquellen liest und sich daher auf das Urteil der geachteten Kollegen verlässt.
Diejenigen, die sich dem herrschenden Konsens widersetzten, sahen sich hingegen marginalisiert, selbst als nach 1989 Quellen aus sowjetischen und DDR-Archiven zugänglich wurden, die etliche bisherige Annahmen infrage stellten.
Benjamin Carter Hett ist nicht der erste Historiker, der Zweifel an der Alleintäterschaft van der Lubbes formuliert. Das haben vor ihm auch Edouard Calic, Walther Hofer, Alexander Bahar, Wilfried Kugel und Hersch Fischler getan. Marcus Giebeler hat jüngst noch einmal die Historikerdebatte um den Reichstagsbrand dargestellt.
Aber niemand zuvor hat diesen Kriminalfall und die Kämpfe um seine Deutung so anschaulich, mitunter mitreißend und kenntnisreich geschildert und zugleich erklärt, wie und warum historische Gewissheiten entstehen, wie Benjamin Carter Hett in diesem lesenswerten Buch.
Der Reichstagsbrand ist ein Schlüssel zum Verständnis des NS-Regimes, darum ist die Auseinandersetzung um die Interpretation des Geschehens so wichtig. Die zahlreichen Widersprüche in der These von der Alleintäterschaft sind noch kein Beweis für die Urheberschaft der SA, unterstreicht Hett. Aber seine Wiederaufnahme des Verfahrens war überfällig.
Benjamin Carter Hett: "Der Reichstagsbrand. Wiederaufnahme eines Verfahrens." Aus dem Englischen von Karin Hielscher. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 640 Seiten, 29,95 Euro. E-Book 24,99 Euro.
Michael Wildt lehrt Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert an der Berliner Humboldt-Universität. Bekannt wurde er mit "Generation des Unbedingten" (2002). Gemeinsam mit Christoph Kreutzmüller gab er 2013 "Berlin 1933 - 1945" heraus.