Fake News:Lüge wird Wahrheit

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Die größte Bedrohung für die liberale Welt geht von der epidemischen Verbreitung von Lügen und Fake News aus. Eine Gesellschaft bricht auseinander, wenn sie keine gemeinsame Wahrheit mehr kennt.

Von Stefan Kornelius

In Fragen der Wahrheit verfügt der Papst unbestritten über Autorität, genauso wie seine Kompetenz bei der Interpretation des Alten Testaments nicht angezweifelt werden kann. Insofern sprach Franziskus mit doppelter Befugnis, als er Ende Januar die Schlange aus dem Paradies bemühte, um auf die Gefahren der Unwahrheit hinzuweisen. "Wir müssen demaskieren, was als Schlangen-Taktik bezeichnet werden kann." Die Schlange nämlich sei es gewesen, die Eva mit ihrer Desinformationskampagne zur Sünde verführt habe. Über den Baum der Erkenntnis sei die Lüge in die Welt gelangt und damit jenes Übel, das heute in Form einer Fake-News-Epidemie wüte.

Die Kirche ist mit ihrer Sorge um die Wahrheit nicht allein, obwohl es einer gewissen Ironie unterliegt, dass der Papst zum Beleg seiner Mahnung die allegorische Szene aus dem Garten Eden heranzieht - eine frühe Fake-News-Geschichte, die der modernen Theologie zufolge - wenn überhaupt - nur bildlich zu interpretieren ist und nicht wörtlich.

Der Papst denkt aber weniger an Eva, sondern an die Verführten von heute, weshalb der Vatikan im Mai einen Welttag der Sozialen Kommunikation ins Leben ruft, quasi eine kirchliche Mahnwache für alle Blogger, Facebooker und Instagram-User, und mehr noch: für alle modernen Menschen, die sich dem ständigen Beschuss von Information ausgesetzt sehen, aber nicht mehr unterscheiden können zwischen Wahrheit und Lüge. Denn, so Franziskus: Fake News sind eine Gefahr für die Menschheit, weil sie Gefühle wie Angst oder Wut ausnutzten und politischen und gesellschaftlichen Schaden anrichteten.

Dem Papst geht es am Ende aber um mehr, es geht ihm um das Seelenheil, um die innere Stabilität der Menschen und ihren Zusammenhalt. Franziskus zitiert Dostojewski, wenn er mahnt: "Menschen, die sich anlügen und ihren eigenen Lügen zuhören, können die Wahrheit in sich selbst oder um sich herum nicht mehr erkennen, und so verlieren sie allen Respekt vor sich selbst und für andere." Das Ergebnis: Gesellschaften werden grob zueinander, Regeln lösen sich auf.

Die zerstörerische Kraft von Fake News ist nicht nur dem Papst bewusst, sie ist in allen Lagezentren der Welt zu Hause, in Parteien, Regierungszentralen, beim Militär, in den Steuerständen von Konzernen - und bei jedem Studienrat, der abends als Wikepedia-Autor enzyklopädische Wahrheiten verfasst. Seine Wahrheiten.

Die Lüge, gezielt eingesetzt, hat sich zu einer besonders potenten Waffe der Gegenwart entwickelt. Wenn es in Menschheitskonflikten seit jeher um die Erschütterung von Ordnung geht, um Dominanz, Unterwerfung oder im Idealfall um Ausgleich und Verständigung, dann hat die moderne Kommunikationstechnologie Instrumente geschaffen, die ihre furchteinflößende Wirkung direkt im Epizentrum der menschlichen Empfindungen entfalten: im Gehirn, wo die Entscheidung getroffen werden muss zwischen richtig und falsch, zwischen Wahrheit und Lüge.

Ein Echtzeitexperiment in den USA: Wie viel Lüge hält ein Land aus?

Das ist in Theorie und Praxis nichts Neues. Die Manipulation der Wahrheit, den Einsatz von Falschinformationen um eines Vorteils willen gibt es - siehe Franziskus - seit Adam und Eva. Neu ist der epidemische Gebrauch, die explosive Kraft moderner Kommunikationstechniken und die messbare, zersetzende Wirkung auf Menschen, oder konkret: auf eine liberale, offene und demokratische Gesellschaft.

Lügen, "alternative Wahrheiten", Fake News wirken besonders gegen jene Gesellschaften, die sich ihrer Offenheit und Transparenz rühmen. Wenn eine Gesellschaft ständig ihren Zusammenhalt neu verhandeln muss, wenn sie offen streitet, demokratisch wählt und Vertrauen auf Zeit abgibt, dann braucht sie eine verlässliche Basis, einen Grundstock an allgemein anerkannter Information und an Wissen, der nicht umstritten ist. Gibt es diesen Grundstock nicht mehr, dann zerfällt die Gesellschaft. In Echtzeit ist das Phänomen gerade in den USA zu beobachten, wo eine große und prinzipiell liberale Gesellschaft in viele unversöhnliche Lager zerfallen ist. Donald Trump ist nicht Auslöser dieses Zerfalls, er ist ein Produkt davon. Und er betreibt die Spaltung mit seinen Kommunikationsmitteln munter weiter.

Nun gibt es die Debatte über Lüge und Wahrheit, seitdem Menschen reden können und sich mit Argumenten zu überzeugen versuchen. Die Sache mit der Wahrheit ist am Ende ein philosophisches Problem, sie ist eine "Illusion", wie Nietzsche wusste. Selbst jede wissenschaftliche Annäherung an die Wahrheit wird so an ihre Grenzen stoßen, und sei es durch die Totschlagargumente aller Nihilisten, die entweder "alternative Wissenschaften" ins Feld führen oder sich der Debatte schlicht verweigern. Diese Destruktoren der Wahrheit haben gerade Konjunktur und besetzen fleißig alle möglichen Bühnen in der virtuellen und realen Welt.

Einmal im Jahr erhebt die US-Kommunikationsfirma Edelman in aller Welt Daten über das Vertrauen von Menschen in Institutionen, Medien, Nichtregierungsorganisationen und die Industrie. Auch wenn die Motive einer PR-Firma leicht zu durchschauen sind, so sind ein paar Erkenntnisse der Umfrage, veröffentlicht im Januar, geradezu schockierend: "Wir sehen eine Welt ohne gemeinsame Fakten und objektive Wahrheiten, das schwächt Vertrauen . . .", heißt es in dem Bericht.

Am stärksten messbar war dieser Vertrauensabsturz in den vermeintlich offenen und aufgeklärten USA. "Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die traditionellen Strukturen der amerikanischen Führung ist jetzt vollständig unterhöhlt und wurde ersetzt durch ein starkes Gefühl von Angst, Unsicherheit und Desillusionierung." Auf einer Weltliste des Vertrauens, gemessen anhand der Aussagen einer speziell definierten "informierten Öffentlichkeit", ist Amerika auf den letzten Platz abgeschmiert. Der Absturz an Zutrauen in Politik, Medien und Industrie ist umfassend, die Öffentlichkeit fühlt sich von einem Tsunami der Desinformation weggespült. 63 Prozent der Bevölkerung wissen nicht mehr zu unterscheiden zwischen wahren und falschen Nachrichten.

Nicht weniger atemberaubend das Ergebnis auf der anderen Seite der Skala, bei den Gewinnern der Vertrauensumfrage: China ist das Land, in dem die Bevölkerung ganz besonders der politischen Führung, den Wirtschaftseliten und bemerkenswerterweise auch den Medien vertraut. Ebenfalls weit oben auf der Vertrauensliste: Indien, Indonesien und die Vereinigten Arabischen Emirate - ausgerechnet.

Auch wenn die Erhebungszahlen aus China mit Vorsicht zu genießen sind, so zeigt die Studie: Fake wirkt, und zwar in beide Richtungen. Wird der Informationsfluss in einer Gesellschaft kontrolliert, ergibt sich ein geschlossenes Weltbild, es entsteht Vertrauen. Wirken zu viele, widersprüchliche und gar bewusst falsch gesetzte Informationen auf eine Gesellschaft ein, steigt die Verwirrung, das Vertrauen sinkt, und der gesellschaftliche Zusammenhalt zerfällt. Fake, bewusst eingesetzt, zerstört also eine offene Gesellschaft, weil es Konsens und Gewissheiten zerstört, weil es verunglimpft und Zwietracht sät.

Dass diese Zerstörung bewusst betrieben wird, ist auch kein Geheimnis. Russland steht an der Spitze der Disruptoren. Bereits 2008 schrieb der einflussreiche Militärstratege Anatoly Tsyganok, dass die Streitkräfte Informationstruppen für Propaganda und Desinformation bilden müssten. 2011 findet sich in einem Handbuch zur informationspsychologischen Kriegsführung der Hinweis, dass Informationswaffen wie eine "unsichtbare Strahlung" wirkten, die man nicht einmal spüre - weshalb ein Gegner auch seine Selbstverteidigung nicht aktiviere.

Beispiele für diese verdeckte Kriegsführung gibt es viele. Der Einfluss auf den US-Wahlkampf als bekanntestes Exempel wird jetzt in allen Facetten aufgearbeitet. Es geht um Blocks, Tweets, Posts, Videos, die Bombardierung mit falschen und gefälschten Informationen, Tonnen von Zweifeln, die abgeladen werden und die sich hineinätzen in eine Gesellschaft mit dem Ziel der Diskreditierung und Zersetzung.

Gut dokumentiert ist aber auch, wie Informationskrieger in der eigenen Gesellschaft wüten. Die Lügenmaschine um Donald Trump, vor allem gespeist mit den Abermillionen des Hedgefonds-Managers Robert Mercer, ist weit verästelt und besteht nicht nur aus ein paar Glaubenskriegern bei Breitbart oder Fox News. Mercer finanziert Thinktanks, Datenfabriken, Kommunikationsagenturen und IT-Spezialisten, deren Ziel wiederum die Beeinflussung der großen Kommunikationskanäle und Suchmaschinen ist. Eigene Informationsstrukturen werden da gebaut, vernetzt und automatisiert.

In Deutschland hat die Bundestagsfraktion der AfD gerade angekündigt, dass sie ähnlich wie ein Medienhaus einen "Newsroom" einrichten werde, um die digitalen Kanäle der Kommunikation mit den eigenen Wahrheiten zu füllen. Sie wird damit wohl auf rege Nachfrage stoßen. Einerseits. Andererseits ist gerade in Deutschland gut zu beobachten, was gegen die Fälschung hilft: Offenheit, Kommunikation, Entlarvung.

In Deutschland ist das Vertrauen in Medien groß. Nicht aber bei AfD-Wählern

Die Stiftung Neue Verantwortung, ein Berliner Thinktank mit ausgewiesener Expertise in Technologie-Themen, hat weit höhere Glaubwürdigkeitswerte für die Medien in Deutschland gemessen als in den USA. Mehr als 60 Prozent der Befragten halten Medien demnach für sehr oder eher glaubwürdig. Große Ausnahme: die Wähler der AfD und auch die Nichtwähler. Sensibilisiert für das Thema sind nahezu alle Konsumenten - 60 Prozent der Befragten erwarteten geradezu, im Wahlkampf mit Fake News belästigt zu werden.

Wie die Schlacht um die Wahrheit endet, ist offen. Wer die Fakten unterdrückt, wird den Widerstand der Freiheitshungrigen spüren, auch in China, wo bereits die Computer die Kontrolle übernehmen. Wer in seiner Offenheit hingegen die Schlacht um die Wahrheit toben lässt, der wird viele Bürger an die Lügner verlieren, weil einfache Wahrheiten nun mal attraktiver sind als das Eingeständnis, dass man die volle Wahrheit auch nicht so recht kennt.

Das größte Menschheitsexperiment in Sachen Fake läuft nun in den USA ab, wo der Abnutzungskrieg zwischen Trump und seinen Gegnern vor allem in den klassischen Medien erste Erschöpfungsopfer fordert. Schon wenige Tage nach Trumps Amtsübernahme stellte die New York Times resigniert fest, es interessiere niemanden mehr, ob der Präsident lüge oder nicht. Trump selbst hat inzwischen seinen Twitter-Ausstoß reduziert, sei es, weil ihm dazu geraten wurde, sei es, weil er den Widerstand spürt, den er provoziert.

Das böse Ende hat George Orwell vor 70 Jahren vorhergesehen: Das Konzept der objektiven Wahrheit verschwinde aus der Welt, auch Lügen werden damit der Vergangenheit angehören. "Wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten ... , dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit."

© SZ vom 15.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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