Extremismus:Schlag gegen Terror-Werber: Wie der Staat Islamisten jagt

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Berlin (dpa) - Früh am Morgen, es ist noch dunkel, rücken 1900 Polizisten in 60 deutschen Städten aus. Sie durchsuchen Wohnungen, Lager, Büros - und setzen das Verbot der radikal-islamistischen Organisation "Die wahre Religion" durch, das Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erlassen hat.

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Berlin (dpa) - Früh am Morgen, es ist noch dunkel, rücken 1900 Polizisten in 60 deutschen Städten aus. Sie durchsuchen Wohnungen, Lager, Büros - und setzen das Verbot der radikal-islamistischen Organisation „Die wahre Religion“ durch, das Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erlassen hat.

Was werfen die Behörden der Vereinigung vor?

Sie soll über Jahre Propaganda für den Dschihad (Heiligen Krieg) und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gemacht haben - unter dem Deckmantel der Koran-Verteilaktion „Lies!“ in deutschen Fußgängerzonen. 140 junge Menschen hätten sich so radikalisiert und seien in die IS-Kampfgebiete in Syrien und den Irak gereist.

Wie war das mit der Koran-Verteilaktion „Lies!“?

Der Hassprediger Ibrahim Abou-Nagie hatte die jetzt verbotene Vereinigung „Die wahre Religion“ (DWR) im Jahr 2005 gegründet. Zunächst ging es um Seminare und Vorträge, mit denen die angeblich „reine Botschaft“ des Islams verbreitet werden sollte. Seit 2011 hatte sich der Schwerpunkt verschoben, in deutschen Fußgängerzonen tauchten immer öfter „Lies!“-Infostände auf. Wegen zunehmender Schwierigkeiten bei der Genehmigung verlagerten die Salafisten sich zunehmend auf die „Street Dawa“ (aus dem Arabischen übersetzt bedeutet Dawa in etwa „Einladung zum Islam“) und verteilten den Koran aus Taschen und Rucksäcken. Eine neue Form ist das „Home Dawa“ - über das Internet können Salafisten-Prediger nach Hause eingeladen werden.

Wie viele Korane haben die Salafisten unters Volk gebracht?

Die „Lies!“-Agitoren wollten 25 Millionen Koranübersetzungen kostenlos an Nichtmuslime in Deutschland verteilen. Laut Abou-Nagie sind bis Mitte 2016 rund 3,5 Millionen Koran-Exemplare unters Volk gebracht worden. Ob die Zahl stimmt, ist unklar. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) betonte, das Verbot vom Dienstag ziele nicht auf die Verteilung von Koranen, sondern den Missbrauch der Religion durch Extremisten. Niemand müsse geschenkte Koranexemplare zurückgeben.

Was ist am Dienstag passiert?

Festnahmen gab es nicht, anders als bei den Aktionen gegen Islamisten der vergangenen Monate - es ging auch nicht um konkrete Anschlagspläne, sondern um ein Vereinsverbot. In Westdeutschland und Berlin händigte die Polizei 105 Mal die Verbotsverfügung aus. Sie beschlagnahmte umfangreiche IT-Technik, Speichermedien, Smartphones, in Einzelfällen fanden die Beamten auch Hieb- und Schlagwaffen. Nahe Köln wurde ein Zentrallager mit 21 000 Koranexemplaren von der Polizei versiegelt.

Welche Vorgeschichte hat die Aktion?

Die Ermittlungen laufen seit 2013. Da hatte die acht Jahre zuvor gegründete Gruppe schon mit Koran-Verteilaktionen auf sich aufmerksam gemacht. Das Netzwerk soll 500 Mitglieder haben. Dass der Kopf von „Die wahre Religion“, der gebürtige Palästinenser Abou-Nagie, derzeit in Malaysia ist, wussten die Behörden. Aber sie hatten nach Angaben des Innenministeriums die Ermittlungen so weit abgeschlossen, dass ein Vereinsverbot auch im Fall von Anfechtungen Bestand haben würde.

Ist es das erste Verbot von salafistischen Vereinigungen?

Nein. Verboten wurden zuletzt bereits „Millatu Ibrahim“ (2012), „DawaFFm“ (2013), der „Islamische Staat“ (2014) und „Tauhid Germany“ (2015). Es ist immer wieder dasselbe Muster - und die Behörden haben es immer wieder mit alten Bekannten zu tun. Der Mann, der hinter „Tauhid Germany“ steckte, war etwa Mohamed Mahmoud. Er war bereits die Führungsfigur des zuvor verbotenen Salafisten-Vereins „Millatu Ibrahim“ gewesen. Mahmoud setzte sich damals rechtzeitig vor dem Verbot ins Ausland ab.

Welche Verbindungen der „Wahren Religion“ kennen die Behörden?

Etwa zu Sven Lau und Pierre Vogel, die bekanntesten Gesichter des radikalen Islams in Deutschland. Lau hat laut der Anklage seines derzeitigen Prozesses in Düsseldorf 2013 zwei Salafisten aus Deutschland mit Hilfe eines Schleusers in die Reihen der syrischen Terrorgruppe Jamwas gelotst.

Trocknet die Salafisten-Szene mit der Aktion jetzt langsam aus?

Wohl nicht. Die Behörden gehen von 870 Menschen aus, die aus Deutschland nach Syrien und in den Irak gezogen sind. Die Zahl der Salafisten in Deutschland stieg bis Oktober auf 9200. Die Behörden fürchten, dass verstärkt Salafisten aus den IS-Kampfgebieten nach Deutschland kommen könnten, wenn die Terrormiliz etwa in Mossul zunehmend in die Defensive gerät.

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