Nach der Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner aus türkischer Untersuchungshaft ringen die potenziellen Jamaika-Partner CDU/CSU, FDP und Grüne um eine gemeinsame Haltung gegenüber Ankara. CSU-Chef Horst Seehofer sagte vor Beginn der Sondierungsrunde an diesem Donnerstag in Berlin zur Süddeutschen Zeitung: "Ich freue mich sehr für Herrn Steudtner. Das ist ein schönes Signal. Aber wir haben jetzt noch nicht Normalität." Einen EU-Beitritt der Türkei sehe er nicht. "Wir wollen vernünftige Beziehungen, aber keine Vollmitgliedschaft."
Erst am Dienstag hatte Generalsekretär Andreas Scheuer bekräftigt, dass die CSU die Beziehungen zur Türkei nicht kappen, aber die Verhandlungen "abbrechen" wolle. Allerdings dürfte die Partei damit in einem Jamaika-Bündnis zunehmend alleine stehen. Seit Dienstag wird unter den Parteien an einem Eckpunktepapier zu Europa gearbeitet - strittig war am Donnerstagmorgen unter anderem noch, ob zu den gemeinsamen Positionen auch die Forderung nach einem Abbruch der Gespräche gehören würde. CDU-Chefin Merkel sieht einen Abbruch kritisch. Die Grünen lehnen ihn ab.
Sondierungstreffen startet in äußerst angespannter Atmosphäre
FDP-Vize Wolfgang Kubicki erweckte den Eindruck, die möglichen Bündnispartner wären sich bereits einig: "Wir haben uns darauf verständigt, dass die Überlegung, wir brechen die Verhandlung ab, Deutschland isolieren würde, weil wir keine Mehrheit in Europa bekommen", sagte er unmittelbar vor Beginn der Gespräche. "Wenn wir den Willen, den wir im Koalitionsvertrag festschreiben können, Abbruch der Verhandlungen, nicht europäisch umsetzen können, macht das relativ wenig Sinn", sagte Kubicki. Ein Einfrieren der Gespräche, wie es faktisch derzeit schon der Fall ist, habe "die gleiche Wirkung", sei aber realistisch.
Die Grünen-Politikerin Claudia Roth sagte der SZ, ein Abbruch der Verhandlungen spiele lediglich dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan in die Hände. Er wäre "das Ende einer Perspektive in der EU" und würde gerade jene treffen, die in der Türkei die Demokratie unterstützten. Die Freilassung Steudtners aus der Untersuchungshaft bezeichnete sie als "kleinen Lichtstrahl", es gebe aber nicht den geringsten Grund zur Entwarnung, denn andere Deutsche wie die Journalisten Deniz Yücel und Meşale Tolu würden weiterhin in türkischen Gefängnissen festgehalten.
Das Sondierungstreffen startete trotz der guten Nachrichten aus der Türkei in äußerst angespannter Atmosphäre. Nach dem vorangegangenen Treffen am Dienstag war ein gemeinsames Eckpunktepapier von den Parteien hinterher wieder offen infrage gestellt worden. CSU-Chef Seehofer sagte, wenn so etwas passiere, habe es "keinen Sinn", etwas zu vereinbaren. Die Zeit der Sondierungen sei äußerst sensibel. "Das ist eine Epoche, in der man sich diszipliniert verhalten muss." FDP-Vize Kubicki erklärte, es fehle den Verhandelnden an Grundvertrauen. Dabei stehen am Donnerstag neben Europa besonders strittige Themen wie die Zuwanderung und der Klimaschutz auf der Tagesordnung, in denen die Parteien teils gegensätzliche Ansätze vertreten.