Exil-Tibeter:Politiker im Mönchsgewand

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In der Öffentlichkeit formuliert er nie mehr als den Minimalkompromiss seiner Anhänger. Der Dalai Lama ist Symbolfigur einer Exilbewegung, die uneinig und nur schwer zu lenken ist.

Stefan Kornelius

Schon in den ersten Stunden seiner Reise durch Deutschland wollte dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter, dem Dalai Lama, kein unbedachtes Wort entweichen.

Oberstes Ziel ist, das Töten in Tibet zu stoppen - darauf können sich die Demonstranten leicht einigen. Alles andere ist schwieriger. (Foto: Foto: Reuters)

In unzähligen Interviews, begleitet auf Schritt und Tritt von Kameras, und in seinen Reden vor Tausenden von Anhängern und Gläubigen wiederholte er geduldig seine immer gleichen Forderungen und Einschätzungen: Nein, dies sei keine politische Reise, er sei lediglich ein einfacher Mönch, es gehe dem tibetischen Volk um Autonomie in kulturellen und religiösen Fragen und um Umweltschutz. Die staatliche Einheit Chinas werde nicht in Frage gestellt, und all seine Forderungen seien strikt dem Prinzip der Gewaltlosigkeit untergeordnet.

Wer die Flut der Worte auf ihre politische Substanz untersucht, wird schnell ernüchtert: Nach der Charta der Tibeter im Exil, verabschiedet im tibetischen königlichen Jahr 2118 (1991), ist der Dalai Lama zwar Herr über Exekutive und Legislative. Ohne sein Wort gilt nichts in der Welt der Exil-Tibeter. Tatsächlich aber tritt er nicht als Politiker auf. "Der Dalai Lama ist eine Kristallisationsfigur, ein Mönch, der dem praktischen Leben nicht ausgesetzt ist, und der von internationalen und tibetischen Beratern umgeben wird.

Die Politik kann er nicht alleine machen", sagt die Politologin Stephanie Römer, die in wenigen Wochen ein Buch über die tibetische Exilregierung veröffentlicht. Römer hat über die Exil-Tibeter-Bewegung promoviert, ihre Arbeit erscheint in einem englischsprachigen Verlag, und wer die ernstzunehmende Literatur zu dem Thema sucht, wird außer diesem Buch nur wenig finden.

Minimalist der Worte

Was hingegen schnell klar wird: Der Dalai Lama mag die Führungsperson seines Volkes sein, aber er ist auch ein Getriebener. Denn er formuliert nie mehr als den Minimalkompromiss, auf den sich die Bewegung der Exilanten und das unübersichtliche Netz der Unterstützer einigen könnte. Der Dalai Lama formuliert deswegen so vorsichtig, weil er die Bewegung nicht in eine Zerreißprobe treiben will und offenbar trotzdem noch eine realistische Verhandlungschance mit China aufrechterhalten möchte.

Loyal zur Seite des Dalai Lama steht die Exilregierung mit ihrem Ministerpräsidenten und den drei Ministern. Als die Regierung 1961 gegründet wurde, wurde sie von Aristokraten und der Mönchs-Elite der Exilanten bestückt. Bis heute sind diese Strukturen erkennbar. Die Familie Tethong etwa, Teil der tibetischer Aristokratie, besetzte lange Zeit einflussreiche Positionen und ist heute in der Unterstützer-Szene aktiv.

Transparent sind indes weder Wahlverfahren noch Arbeit der Regierung. Wahlberechtigt sind alle Exil-Tibeter, die jährlich einen Obolus entrichten. Allerdings gibt es ein Zwei-Klassen-Wahlrecht: Mönche haben zwei Stimmen, Laien nur eine.

Bei der Wahl der Volksvertretung ist ein Proporzverfahren ausschlaggebend: Gewählt werden Vertreter der vier buddhistischen Strömungen und der vor-buddhistischen Bön-Religion sowie Vertreter der drei Provinzen des alten Großtibets. Die religiösen Vertreter werden nur von den Mönchen bestimmt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, worin der größte Widerspruch zwischen dem Dalai Lama und der Friedensbewegung liegt ...

Die chinesische Regierung findet hier eine ihrer Hauptargumente, wenn sie gegen die Autonomiebestrebungen wettert. Die Exil-Tibeter verlangen die Autonomie für das alte Großtibet, das aus den Provinzen Ü-Tsang, Amdo und Kham besteht. So steht es auf allen Karten der Regierung, so steht es in der Verfassung. Der Dalai Lama erhebt diesen Anspruch öffentlich nur vorsichtig, weil er weiß, dass die erste Kompromisslinie in Verhandlungen mit den Chinesen darin bestehen müsste, den Anspruch auf die "Autonome Provinz Tibet" entsprechend der Grenzziehung von 1950 zu reduzieren.

Der größte Widerspruch zwischen dem Dalai Lama und der Bewegung liegt im politischen Ziel. Während das geistliche Oberhaupt immer wieder von religiöser und kultureller Autonomie spricht und die Einheit mit dem chinesischen Staat verspricht, fordert die Verfassung der Exil-Tibeter klar die Eigenstaatlichkeit. Schon in der Präambel wird der Auftrag erteilt, dass alle Anstrengungen unternommen werden sollen, das künftige Tibet in eine "föderale, demokratische, autonom regierende Republik" zu verwandeln. In Artikel 8 wird die Staatsbürgerschaft definiert - ein klares Merkmal eines eigenen Staats. Bis heute erklärt der Dalai Lama zum Beispiel nicht, was kulturelle und religiöse Autonomie bedeuten, welche Zugeständnisse ihm konkret fehlen und mit welchen Strukturen er diese Autonomie füllen würde.

Vollends unübersichtlich wird die politische Stoßrichtung der Tibeter, wenn man neben Dalai Lama, Regierung und Parlament die gewaltige Unterstützer-Bewegung und ihren Einfluss analysiert. Bereits in der innertibetischen Bewegung gibt es radikale Gruppierungen, die klar für eine Abspaltung von China werben - manche sogar unter Anwendung von Gewalt. Bei den nicht-tibetischen Unterstützern finden sich ebenfalls ganz unterschiedliche Motive: Gerade in den USA haben sich viele Stiftungen die Demokratieförderung auf die Fahnen geschrieben, anderen geht es offen um die Schwächung Chinas, und schließlich gibt es die größte Fraktion, die sich mit dem buddhistischen und kulturellen Erbe beschäftigt. 1997 wurden weltweit mehr als 350 Freundesgruppen gezählt.

Netz mit tausend Knoten

Die Exil-Tibeter-Bewegung hat sich dieses unkoordinierte, aber hochaktive Netz zunutze gemacht und agiert selbst in ihm. Die Exilanten-Expertin Stephanie Römer beschreibt, dass die Regierung in Dharamsala bewusst Abteilungen aus Ministerien ausgegliedert hat. So firmiert die alte Menschenrechtsabteilung aus dem Außenministerium heute unter dem Namen "Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie".

Die Umwandlung ist sinnvoll: Als Nichtregierungsorganisationen (NGO) können die Gruppen an internationalen Konferenzen etwa der UN teilnehmen. Andere Gruppen wie der einflussreiche und radikale "Tibetan Youth Congress" oder die "Tibetan Women Association" stehen ebenfalls unter dem Schirm der Regierung, funktionieren aber als NGO, was auch die Finanzierung einfacher macht. Ein Insider der Szene berichtet, dass Geldgeber wie Stiftungen oder politische Organisationen 90 Prozent der tibetischen Förderanträge bewilligten.

Wenn der Dalai Lama spricht, dann weicht er den kritischen Themen aus: Was genau heißt Autonomie? Und für welches Gebiet soll sie gelten? In den politischen Verhandlungen mit China - der Beginn einer siebten Gesprächsrunde wurde gerade beschlossen - scheinen die beiden Seiten noch lange nicht zu den verhandelbaren Fragen vorgedrungen zu sein. "Es fehlt das Vertrauen" sagte der Dalai Lama am Donnerstag in einem der seltenen Momente, wo er Einblick gewährte in die abgeschottete Politik.

Die lässt er im chinesischen Shenzen von seinen Vertrauten Lodi Gyaltsen Gyari und Kelsang Gyaltsen betreiben. Die beiden sind weltweit seit Jahren schon als Sonder-Emissäre unterwegs und gehören nicht dem Kabinett an.

© SZ vom 17.05.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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