Ex-Verfassungsschutz-Chef Roewer und die Neonazi-Morde:Sein Name steht für das Chaos

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Helmut Roewer gilt auch bei denen als krasse Fehlbesetzung, die bis zur Enttarnung der Zwickauer Zelle nie von ihm gehört hatten. Der parteilose Jurist war von 1994 bis 2000 Chef des Verfassungsschutzes in Thüringen. Unter seiner Leitung versäumte es der Dienst, die Neonazis zu schnappen. Heute sagt Roewer, er sei Opfer einer Kampagne. Es sei alles ganz anders gewesen.

Hans Leyendecker

Helmut Roewer fühlt sich verfolgt; er macht überall Denunzianten aus, vor allem in der Regierung in Erfurt. Das "mir seit 2009 bekannte Agieren des Thüringer Innenministers" Jörg Geibert (CDU), schreibt der frühere Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in einer Mail, "verbietet mir jede Illusion", es könnte jetzt "um die Aufklärung der Angelegenheiten gehen". Eine "Kampagne" gegen ihn sei im Gange. Für die "fragwürdigen, manche sagen auch korrupten Strukturen in Thüringen", interessiere sich offenkundig niemand.

Der frühere Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Helmut Roewer, gilt als Verantwortlicher für die erfolglose Fahndung nach den Mitgliedern der Zwickauer Terrorzelle 1998. (Foto: dapd)

Der 61 Jahre alte parteilose Jurist war von 1994 bis 2000 Chef des Nachrichtendienstes in Erfurt. Heute gilt er in Berlin auch bei denen als krasse Fehlbesetzung, die bis vorige Woche noch nie von ihm gehört hatten. Sein Name wird als Synonym für das Behörden-Chaos in Thüringen gehandelt.

Roewer ist genervt und schrieb dieser Tage an Journalisten: "Um weiteren Rückfragen vorzubeugen: 1. Ja, es trifft zu, dass ich dem Thüringer Innenminister angeboten habe, ihn bei seinem Bemühen zu unterstützen, den Sachverhalt aufzuklären. 2. Nein, ich habe hierauf keine Antwort erhalten." Etwas flapsig hatte der CDU-Innenminister in den vergangenen Tagen erklärt, dass Roewer wohl kaum zur Aufklärung beitragen könne. "Da irrt er sich", sagt Roewer.

Jetzt redet er. Alles sei ganz anders gewesen. Nicht der Verfassungsschutz habe versagt, sondern die Polizei. Nachdem die drei Neonazis als Bombenbauer aufgefallen waren, habe die Polizei Anfang 1998 die Festnahme verpatzt. Der Verfassungsschutz habe der Polizei den entscheidenden Tipp gegeben, aber der Haftbefehl kam zu spät. Die drei Neonazis tauchten ab in den Untergrund. Allein "Polizei und Staatsanwaltschaft waren zuständig". Nachdem die "Festnahme supergründlich in die Hose" gegangen sei, habe der Erfurter Verfassungsschutz eine eigene Zielfahndung gestartet.

"Keiner der drei Gangster" sei eine Quelle des Verfassungsschutzes gewesen, deshalb habe auch keiner von ihnen Geld für Spitzeleien bekommen. Auch seien die drei Flüchtigen nicht mit Tarnpapieren ausgestattet worden. Die Geschichte sei "ganz anders", sagt Roewer. Es habe zuvor ein oder mehrere Lecks in der thüringischen Polizei gegeben. Es sei auffällig gewesen, dass Aktionen häufiger ins Leere gelaufen seien, weil Rechtsextremisten offenbar einen Tipp bekommen hatten. Man habe sogar einen höherrangigen Polizeibeamten als Maulwurf vermutet.

"Wie es wirklich war", hat er in alten Tagesnotizen festgehalten. Damals, so Roewer, sei die größte Fahndung seiner sechsjährigen Amtszeit angelaufen. Das Trio sollte vom Verfassungsschutz ausfindig gemacht werden, damit Polizisten die Handschellen klicken lassen konnten. Intensiv sei die rechte Szene überwacht worden und es habe damals noch "ein paar Feinheiten mehr" gegeben.

Der Verfassungsschutz habe unter einer Legende Firmen gegründet, die dann Aufträge an TV-Journalisten vergeben hätten. Auftrag sei es gewesen, möglichst viele Bilder und Töne von Rechtsradikalen zu erhalten, um das Material mit den Erkenntnissen des Amtes abgleichen zu können. Die Fernsehleute hätten Bilder geliefert, die Beamte normalerweise nie bekommen hätten.

"Wir waren primär nicht zuständig für die Fahndung, aber wir haben sie mit größter Intensität vorangetrieben." Die Aktion sei "furchtbar teuer gewesen". Aber es habe doch kein Zweifel bestanden, dass "Leute, die Bomben bauen, höchst gefährlich" seien, sagt der frühere Behördenpräsident. Auch deshalb empöre ihn der in diesen Tagen geraunte Vorwurf, er habe in seiner Dienstzeit "etwas unternommen, was die mutmaßlichen Schwerkriminellen gestützt haben könnte. Das Gegenteil war zutreffend".

Dienste sind keine Orte der Idylle. Oft beschäftigen sie sich vor allem mit sich selbst; sie sind ein ideales Mistbeet für Gerüchte und Denunziationen aller Art. Wenn von "Filzläusen und Natterngezücht" die Rede ist, reden Kollegen über Kollegen. Insbesondere nach Pannen weist jeder auf den anderen. Einer muss schließlich schuld sein. "Was ich sage", erklärt Roewer, "stützt sich auf meine Tagesnotizen." Auch räume er gerne ein, "dass ein Tagebuchschreiber alles andere als unfehlbar ist".

Das klingt etwas verdruckst und auch nicht sehr hoffnungsfroh. Schon vor der Entdeckung der braunen Killertruppe gab es Querelen im Amt, die über das normale Behördenmaß hinausgingen. Roewer musste im Jahr 2000 gehen. Seitdem erlebte er die Welt der Apparate als Feindesland. Wegen Untreue wurde ihm der Prozess gemacht. Dabei ging es auch um die Legendenfirmen, die das Filmmaterial teuer angekauft hatten. Der Prozess wurde nach rund fünfzig Verhandlungstagen gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 3000 Euro eingestellt.

Helmut Roewer, der, wie alle Welt derzeit sagt, am Chaos von Erfurt und den Thüringer Verhältnissen schuld gewesen sein soll, ist verbittert. Er schreibt Bücher über historische Stoffe und findet "keinen Zusammenhang zwischen dem untypischen Verhalten der Täter und dem normalen politischen Terrorismus". Immerhin. Mit dieser Ansicht ist er nicht allein.

© SZ vom 17.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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