Die meiste Zeit schweigt der Bundespräsident. Faltet die Hände und reibt die Daumen, stützt das Kinn auf die Hand, nickt: Christian Wulff, der Präsident mit dem offenen Ohr - heute für Zuwanderer und Kinder von Zuwanderern, die in der Dresdner Eissporthalle auf dem Kirchentag mit ihm diskutieren dürfen.
"Wie viel Integration braucht die Demokratie?" heißt das Thema, Wulff hat die Debatte darüber im vergangenen Jahr mit dem Satz befeuert, dass "der Islam zu Deutschland" gehöre. 200 zustimmende Briefe habe er erhalten, sagt er - und 4200 empörte. Ja, es gebe Angst im Land, sagt er. Und dass er die Ängste verstehe.
Das Gespräch ist ein Potpourri der Einigkeit. Die 22-jährige Aylin Selcuk und die Journalistin Sineb el Masrar erzählen, wie es sie nervt, immer in Schubladen gesteckt zu werden. Die Lehrerin Betül Durmaz berichtet, wie ein libanesischer Clan die Schule terrorisiere, Grigory Ladoginsky, wie wichtig für ihn, den eingewanderten Juden, das Deutschlernen war. Der Soziologe Armin Nassehi erklärt, dass die Integration in Deutschland besser gelungen sei, als viele Deutsche glaubten.
Wer redet, erntet Kopfnicken. Es gibt Probleme, aber keinen Grund zur Panik. Der Name Thilo Sarrazin fällt nur einmal, er versendet sich im Saal. Und Wulff? Ja, der Islam gehöre zu Deutschland, sagt er, nur wenn das gelte, könne man glaubwürdig die volle Religionsfreiheit für Christen in der Türkei fordern. Muslime müssten die Gesetze achten wie alle Bürger; für Problemkinder bräuchte es mehr Ganztagsschulen.
Neu ist das alles nicht; neu ist, wie das Publikum reagiert: Die Wutbürger und Islamkritiker sind weg oder schweigen. Vor vier Jahren noch fetzten sich in Köln der damalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Wolfgang Huber, und muslimische Verbandsvertreter - und das Publikum bejubelte jeden islamkritischen Satz. "Da hat die Sarrazin-Debatte paradoxerweise Gutes bewirkt", sagt Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland - "gerade die Intellektuellen diskutieren jetzt differenzierter."
Wenn Verschiedenheit respektiert werde, sagt der Präsident am Schluss, dann könne auch das Gemeinsame wachsen - ein Patriotismus, der auch die Zuwanderer einschließe.