Europawahlen:Ein Kreuz für mehr Demokratie

Lesezeit: 3 min

Von der Europawahl, die heute in Großbritannien und den Niederlanden beginnt, hängt ab, ob die EU sich weiter demokratisiert.

Martin Winter, Brüssel

Zum siebten Mal werden die Europäer jetzt zur Wahl zum Europäischen Parlament gebeten. Und wenn kein Wunder geschieht, dann setzt sich der Trend zum Nichtwählen fort, der schon bei den vorhergehenden Urnengängen zu beobachten war.

Zeigt die Europawahl, dass die EU den Europäer doch mehr wert ist, als Umfragen suggerieren und EU-Skeptiker uns einreden wollen? (Foto: Foto: dpa)

Lässt man einmal die auf dem ganzen Kontinent Platz greifende diffuse Politikverdrossenheit außer Acht, dann ist das eine paradoxe Entwicklung. Denn das Vorurteil, dass der europäische Mensch keinerlei Einfluss habe auf das, was die da in Brüssel tun, weil das Parlament eine machtlose Schwatzbude sei, geht weit an der Wirklichkeit vorbei.

Das Europäische Parlament hat sich seit der ersten Wahl im Jahre 1979, als es in der Tat von den europäischen Regierungen vorsätzlich als ein schwaches und machtloses ins Leben gerufen wurde, zu einem selbstbewussten und machtvollen Organ entwickelt. Rund zwei Drittel der Gesetzgebungsvorhaben der EU unterliegen schon heute der "Mitentscheidung" der Abgeordneten aus den 27 Ländern. Weder der Präsident der EU-Kommission noch die Kommissare können gegen den Willen des Parlaments installiert werden.

1999 stürzten die Abgeordneten sogar eine Kommission. Und wenn der Vertrag von Lissabon, diese abgespeckte Fassung des 2005 gescheiterten europäischen Verfassungsvertrages, möglicherweise Ende des Jahres in Kraft tritt, dann bekommt das Europäische Parlament noch mehr gesetzgeberische Macht. Die Ära der absoluten Dominanz des Rates, also des Organs der Mitgliedsländer, neigt sich ihrem Ende zu. Unter den Organen der EU wird diese Versammlung der nationalen Regierungen zwar auf lange Zeit das mächtigste bleiben. Doch wenn der Rat seine Ziele erreichen will, dann muss er sich immer öfter mit dem Parlament verständigen.

Vom Feigenblatt zum Mitgestalter

Den Abgeordneten wächst aber nicht nur vertraglich weitere Macht zu. Sie sind auch Nutznießer der Globalisierung. In dem Maße, in dem die Herausforderungen des Klimawandels, der Energieverknappung, der militärischen Sicherheit oder der Wirtschafts- und Finanzkrise den Rahmen der nationalen Kräfte sprengen, sind europäische Antworten gefragt. Und die werden nicht nur, aber auch im Europäischen Parlament diskutiert und gefunden.

Vom demokratischen Feigenblatt, als das die Mitgliedsländer es vor dreißig Jahren installiert haben, hat sich das Parlament in einen veritablen Mitgestalter der europäischen Politik verwandelt. Die politische Zusammensetzung dieses Parlaments entscheidet also durchaus darüber, ob zum Beispiel die Klimapolitik nachdrücklich oder mit zu großer Rücksicht etwa auf die Auto- und Energieindustrie betrieben wird. Oder welche Richtung die schwierige Debatte nimmt, was eigentlich das Soziale an diesem Europa des gemeinsamen Marktes und der gemeinsamen Währung sein soll.

Abgeordnete im Europaparlament
:Was machen die eigentlich?

Vom 4. bis 7. Juni wird das Europaparlament gewählt: In welchen Bereichen die Abgeordneten mitreden - und wie groß ihr Einfluss ist. Ein Überblick in Bildern.

Irene Helmes

Die Zeiten sind vorbei, in denen es reichte, bei den Wahlen zwischen Europafreunden und Europagegnern zu unterscheiden. Heute und in Zukunft geht es nicht mehr darum, ob man Europa will, sondern welches.

Die Antwort darauf bildet sich in einer Demokratie - und die Europäische Union ist ohne Zweifel ein demokratisches Gebilde - vornehmlich an zwei Orten heraus: in einem öffentlichen Diskurs der unterschiedlichen politischen Strömungen und im Parlament.

Sicher, auch dieses Parlament hat wie jedes auf der Welt seine Probleme und seine Skandale. Aber es hat nicht mehr schwache Abgeordnete in seinen Reihen als etwa der Bundestag. Und der Missbrauch bei Spesen- und Bürokostenabrechnungen, der dem Ansehen der Brüsseler Parlamentarier schwer geschadet hat, ist durch klare Regelungen beendet worden.

Nun wird gerne gegen das Europäische Parlament eingewendet, dass es ja gar kein richtiges sei, weil es keine Regierung wähle und es kein Gegenüber von Regierungsmehrheit und Opposition gebe. Das ist eine sehr deutsche Sicht. So geht etwa die amerikanische Regierung nicht aus dem Kongress hervor, sondern wird vom Präsidenten berufen, der wiederum direkt vom Volk gewählt wird. Ähnlich ist die Lage in Frankreich.

Mehr Einfluss mit dem Vertrag von Lissabon

Der Tag, an dem das Europäische Parlament den Präsidenten der Kommission und die Kommissare aus seinen Reihen entlang parlamentarischer Mehrheiten bestimmt, wird wohl nie kommen. Solange jedes Land darauf besteht, einen Kommissar in Brüssel zu haben, solange wird sich in der Kommission die politische Mehrheit spiegeln, die im Europäischen Rat herrscht.

Mit dem Vertrag von Lissabon bekommt das Europäische Parlament dennoch einen erheblichen Einfluss auf die Bildung der Kommission: Dessen Präsident kann nur werden, wer vom Parlament gewählt wird. Und bevor der Rat den Abgeordneten einen Kandidaten vorschlägt, muss er sich mit den Fraktionsführern im Lichte der Ergebnisse der Europawahl ins Benehmen setzen. Das ist ein starker politischer Hebel, den das Parlament da hat. Oder besser gesagt: haben wird.

Denn ob die Abgeordnetenkammer gegenüber dem Regierungslager bis fast auf Augenhöhe gestärkt wird, hängt nun noch von zweierlei ab: erstens davon, dass das Bundesverfassungsgericht den Klagen gegen den Vertrag nicht stattgibt. Und zweitens von den Iren, die im Oktober einen zweiten Anlauf für eine Volksabstimmung über den Vertrag wagen wollen. Die Chancen sind groß, dass die Insel anders als beim ersten Referendum diesmal mit Ja stimmt.

Eine Europawahl, bei der die Europäer zeigen, dass ihnen dieses Europa doch mehr wert ist, als Umfragen suggerieren und EU-Skeptiker uns einreden wollen, würde den Iren gewiss Eindruck machen. So ist diese Wahl mehr als nur das Bestimmen neuer Abgeordneter. Von ihr hängt auch ein wenig ab, ob die Europäische Union sich weiter demokratisiert.

© SZ vom 04.06.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: