Nigel Farage findet überall Zeichen dafür, dass Europa dem Vereinigten Königreich nicht wohlgesinnt ist. Zum Beispiel beim Eurovision Song Contest, der an diesem Samstag in Kopenhagen zu Ende geht.
Als der Chef der europaskeptischen UK Independence Party (Ukip) am Freitag gefragt wurde, ob er sich das Finale des europäischen Sangeswettbewerbs im Fernsehen anschaue, sagte er: "Ich hasse die Veranstaltung." Das liege daran, dass es dort Vorurteile gegen britische Künstler gebe. Und, führte er aus, wenn man sehe, wie schlecht die Briten bei diesem Wettbewerb von den europäischen Nachbarn behandelt würden, dann sei es lächerlich zu glauben, dass es Premierminister David Cameron gelingen könnte, in Brüssel das Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Union neu zu verhandeln.
Das mag eine gewagte Schlussfolgerung sein, aber es scheint in diesen Tagen, dass Farage sagen kann, was er will, immer erreicht er das gleiche Ergebnis. Erstens: Die Umfragewerte der Ukip steigen weiter, erst recht jetzt, kurz vor den Europawahlen Ende Mai. Zweitens: Die Politiker der etablierten Parteien sind zunehmend ratlos.
Labour und Ukip gleichauf, Tories auf dem dritten Platz
Im konservativen Lager haben die Parteistrategen lange überlegt, wie sie mit den immer besseren Umfragewerten der Ukip umgehen sollen. Zunächst hatten sie darauf gesetzt, dass die Partei sich selbst demontiert. Das war im Grunde keine schlechte Taktik, weil in den vergangenen Monaten beinahe wöchentlich Ukip-Mitglieder mit homophoben, fremdenfeindlichen oder schlicht schwachsinnigen Äußerungen auffielen.
Die Tories mussten jedoch feststellen, dass viele Wähler das nicht zu interessieren scheint. Jüngste Umfragen sehen die Labour-Partei und die Ukip bei den Europawahlen fast gleichauf bei rund 30 Prozent der Stimmen. Die Konservativen folgen auf dem dritten Platz mit lediglich 22 Prozent.
Auch bei den vergangenen Europawahlen hatte die Ukip gut abgeschnitten, bei den folgenden Wahlen zum britischen Parlament im Jahr 2010 aber lediglich 3,1 Prozent der Stimmen erhalten. Bisher gingen die Tories davon aus, dass sich dieses Muster wiederholen würde. Wenn es wirklich drauf ankommt, so die interne Überzeugung, werden die Wähler ihre Stimme nicht einer Partei am Rande geben.
Allerdings ist in dieser Woche eine Studie veröffentlicht worden, derzufolge 60 Prozent der Ukip-Wähler die Absicht haben, der Partei auch nach der Europawahl treu zu bleiben. Da die Wähler der Ukip sich zum großen Teil aus der konservativen Klientel rekrutieren, herrscht bei den Tories Alarm.
"Ich verstehe, dass Sie vieles ärgert"
Wie groß die Unruhe bei den Konservativen ist, lässt sich daran ablesen, dass Premierminister David Cameron sich nun direkt an die Wähler der Ukip gewandt hat. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt, der im Gegensatz zur bisherigen Parteilinie steht. Zuvor war die Maßgabe, dass man die Ukip links liegen lässt oder, falls man sie doch wahrnimmt, mit süffigen Beleidigungen überzieht. Dass Cameron Ukip-Mitglieder einmal als "Spinner, Irre und heimliche Rassisten" bezeichnete, hat ihm Farage bis heute nicht verziehen.
Nun sagte Cameron zu den Ukip-Wählern: "Ich verstehe, dass Sie vieles an der EU und an den Einwanderungsgesetzen ärgert. Aber verschwenden Sie Ihre Stimme nicht an eine Partei, die nicht liefern kann. Wir können liefern." Cameron verwies darauf, dass es 2017 eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens geben werde, falls er als Premier wiedergewählt werde. Die Ukip nutze "Phrasen und Ausdrücke, die Sie anziehen sollen", die Partei habe aber in Wahrheit keine Antworten auf die Probleme.
Ein Ukip-Sprecher sagte dazu am Freitag: "Alles, was Mr. Cameron in Sachen EU bisher geliefert hat, sind höhere Beitragszahlungen und eine offene Grenze für Rumänen und Bulgaren." Sein Auftritt sei erbärmlich.
Ukip-Mitglied spricht von "bösem Islam"
Offenbar haben die Parteistrategen der Tories beschlossen, auf konkrete Attacken zu verzichten, um nicht das Gros der Ukip-Wähler zu verprellen, das man ja bis spätestens 2015 zurückgewinnen will. Dabei böte die Partei genügend Angriffsfläche.
Erst vor zwei Wochen hatte ein Kandidat verbreitet, der Islam sei böse. Ein anderes Mitglied verglich den Islam mit dem Dritten Reich und empfahl dem dunkelhäutigen und zutiefst britischen Komiker Lenny Henry, in ein "schwarzes Land" auszuwandern. Die ehemalige Labour-Einwanderungsministerin Barbara Roche hat eine parteiübergreifende Initiative gestartet, deren Ziel es in ihren Worten ist, die Ukip-Kampagne "als das zu entlarven, was sie ist, nämlich rassistisch".
Farage reagierte darauf in dieser Woche, indem er zum Gruppenfoto mit Ukip-Mitgliedern verschiedenster Herkunft und Hautfarbe bat. "Es ist mir egal, was Sie von uns halten oder ob Sie anderer Meinung sind als wir", sagte er, "aber nennen Sie uns bitte nie wieder rassistisch. Wir sind keine rassistische Partei."
Auf die Ausfälle einzelner Mitglieder reagiert er stets gleich: Diese Leute seien unrühmliche Ausnahmen, die nicht die Parteimeinung wiedergäben. Da die 1993 gegründete Ukip eine relativ junge Partei sei, zöge sie noch einige wenige unerwünschte Mitglieder an, von denen man nicht auf das Ganze schließen dürfe.