Europäische Union:Streit über Milliarden-Pakt mit Türkei

Lesezeit: 3 min

Wer bezahlt den Deal? Dem türkischen Premier Ahmet Davutoğlu wurden in Brüssel drei Milliarden Euro versprochen, um die Flüchtlingskrise zu entschärfen. (Foto: Yves Herman/Reuters)

In Flüchtlingsfragen findet die EU kaum gemeinsame Nenner. Noch ist unklar, wer die Milliardenhilfen für die Türkei aufbringt. Auch die Umverteilung von Flüchtlingen steht in Frage.

Von Alexander Mühlauer, Daniel Brössler und Thomas Kirchner, Brüssel

Eine Woche ist es noch bis zum nächsten Gipfel in Brüssel, aber der Streit ist schon längst da: Drei Milliarden Euro haben die EU-Staaten der Türkei versprochen, um die Flüchtlingskrise zu entschärfen. Doch woher soll das Geld kommen? Die Europäische Kommission hat ihr ursprüngliches Angebot von 500 Millionen Euro um 200 Millionen aufgestockt. Bleiben also 2,3 Milliarden Euro übrig, die gemäß dem üblichen Verteilungsschlüssel auf die Mitgliedstaaten verteilt werden könnten. Aber was ist in dieser Krise schon üblich? Einige Länder sträuben sich, ihren Beitrag zu leisten - und diesmal sind es nicht nur die bekannten Kritiker der deutschen Flüchtlingspolitik wie etwa Ungarn oder die Slowakei.

Beispiel Belgien. "Das Land will nicht zahlen", berichtet ein EU-Diplomat. Einen Grund dafür nannte der Staat dem Vernehmen nach nicht. Aus EU-Kreisen wird kolportiert, es gebe wohl unterschiedliche Auffassungen in der Regierungskoalition des Königreichs. Besonders heftigen Widerstand gibt es aus Zypern. Der Inselstaat möchte, so erzählt es ein EU-Diplomat, am liebsten gar keinen Cent nach Ankara überweisen. Mit anderen Hilfszahlungen, etwa Richtung Jordanien, hätten die Zyprer kein Problem. Aber Geld für die Türkei? Nicht mit uns, lautet die Botschaft aus Nikosia. Und selbst die Regierung Griechenlands, das am unmittelbarsten von den Flüchtlingen, die über die Türkei kommen, betroffen ist, spielt auf Zeit. "Sie versprechen viel, aber liefern dann nicht", sagt ein EU-Diplomat. Die Verhandlungstaktik von Premierminister Alexis Tsipras erinnert viele in Brüssel an den Sommer, als Athen vor dem Finanzkollaps stand und nach schwierigen Auseinandersetzungen von den Euro-Partnern gerettet wurde.

Die EU-Kommission muss nun einen Vorschlag für das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ausarbeiten. Einen rechtlichen Rahmen hatte sie schon Ende November mit der sogenannten Flüchtlingsfazilität für die Türkei geschaffen. Diese Einrichtung soll die drei Milliarden Euro verwalten und Sorge tragen, dass das Geld tatsächlich nur zum Wohle der Flüchtlinge eingesetzt wird. Der Kommission schwebt ein "Koordinierungsmechanismus" vor, der die notwendige Kontrolle gewährleisten soll. Eine Reihe von EU-Staaten aber bleibt skeptisch. Verlangt wird ein Treuhandfonds mit möglichst strenger Überwachung.

Derweil steigt der Druck auf Deutschland. Viele EU-Partner sind mit dem Türkei-Deal, der vor allem auf Drängen Berlins zustande gekommen ist, nicht einverstanden. "Die drei Milliarden für die Türkei helfen vor allem Deutschland", sagt ein EU-Diplomat und macht folgende Rechnung auf: Die Migranten, die jetzt in der Türkei bleiben, kämen Berlin so günstiger, als wenn sie alle nach Deutschland fliehen würden, wo sie ja am liebsten hinwollten.

Bisher umverteilte Flüchtlinge: 160 von 106 000. Die Tabelle ist so nüchtern, dass es schmerzt

Doch es geht nicht nur ums Geld und nicht nur um den Türkei-Pakt. Auch der Rest der Strategie zur Bewältigung der Flüchtlingskrise wird in Brüssel zunehmend in Frage gestellt. Der Plan, 160 000 Flüchtlinge aus Grenzländern wie Italien und Griechenland in andere EU-Staaten zu schicken, sei in Wahrheit längst tot, heißt es bei europäischen Diplomaten in Brüssel. Nur Deutschland stehe noch dahinter. Und natürlich die EU-Kommission, die das Konzept im Frühjahr zum Wohlgefallen der Bundesregierung ausgearbeitet hatte. Auf Beamtenebene ringt mancher die Hände in der Behörde wegen des ausbleibenden Fortschritts und der Dickköpfigkeit mancher Länder.

Nach außen verbreitet die Behörde weiterhin trotzig ihren regelmäßigen Sachstandsbericht über die "Unterstützung der Mitgliedstaaten für den Notfallmechanismus zur Umverteilung". Das ist eine Tabelle, die in ihrer Nüchternheit schmerzt, was auch ihr Zweck sein soll. Stand 9. Dezember: 130 Flüchtlinge aus Italien umverteilt von geplanten 39 600, 30 aus Griechenland von geplanten 66 400.

Und nun hat sich auch noch ein gewichtiges Aufnahmeland offiziell verabschiedet. In einem Brief an die Kommission bat Schwedens Migrationsminister Morgan Johansson diese Woche, wegen Überlastung keine weiteren umverteilten Flüchtlinge mehr aufnehmen zu müssen. Schon zuvor hatte Schweden beantragt, im Gegenteil selbst Flüchtlinge in andere Staaten weiterleiten zu dürfen. Ändern sich ohne Schweden nun die Quoten, die für andere EU-Länder gelten? Sie verhandle darüber mit der Regierung in Stockholm, erklärt die Kommission. Mehr könne man noch nicht sagen.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: