Europäische Union:Macrons Madame

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Der französische Präsident setzt Ursula von der Leyen als Präsidentin der Kommission durch. Die Kraftprobe hinterlässt tiefe Wunden.

Von Karoline Meta Beisel und Matthias Kolb

Die Überraschung ist gespielt, die Erleichterung aber ist echt. Am frühen Abend des 16. Juli wird Ursula von der Leyen vom Europäischen Parlament zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. Ihre Mehrheit ist hauchdünn: 374 Stimmen braucht die CDU-Politikerin, 383 bekommt sie. Als Parlamentspräsident David Sassoli das Ergebnis verkündet, legt von der Leyen die rechte Hand auf die Brust, atmet tief durch und strahlt, als hätte sie das Ergebnis erst in dieser Sekunde erfahren. Dabei hatte die Nachricht von ihrer Wahl bereits am Nachmittag die Runde gemacht. Das knappe Ergebnis ist aber auch eine Warnung: Spätestens an diesem 16. Juli wird klar, wie schwierig die kommenden fünf Jahre für die Europäische Union werden dürften - und auch für die neue Kommissionspräsidentin.

Verstehen sich: Ursula von der Leyen, die fließend Französisch spricht, und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

Als am Abend des 26. Mai bei der Europawahl die letzten Wahllokale schließen, denkt niemand an eine Kommissionschefin namens Ursula von der Leyen, auch die 61-Jährige selbst nicht. Im Brüsseler Europaviertel herrscht Jubel und Erleichterung. Der befürchtete Siegeszug der Populisten und Nationalisten ist ausgeblieben, und nach zwanzig Jahren ist die Wahlbeteiligung erstmals wieder gestiegen, auf respektable 50,6 Prozent. Doch die Euphorie hält nicht lange: Weder für den Niederbayern Manfred Weber noch für den Niederländer Frans Timmermans, die beiden Spitzenkandidaten der europäischen Christ- und Sozialdemokraten, gibt es eine Mehrheit. Und zwar weder im EU-Parlament noch im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs. Durch die Europawahl haben sich die Mehrheiten verschoben: Erstmals in der Geschichte dieses Parlaments haben Christ- und Sozialdemokraten nicht einmal mehr gemeinsam eine Mehrheit. Irgendwie aber müssen sich die Staats- und Regierungschefs auf einen Kandidaten einigen, dem dann auch das Europaparlament zustimmen kann. Und so wird die Wahl des Kommissionspräsidenten zur Kraftprobe der Institutionen, die tiefe Wunden hinterlässt.

Wochenlang ist es im Europäischen Rat vor allem einer, der den Ton angibt: Emmanuel Macron. Der Franzose lehnt das 2014 eingeführte Spitzenkandidatenprinzip ab, das besagt, dass der Spitzenkandidat der stärksten Partei auch Kommissionspräsident wird. Er befürchtet, dass sonst stets die Christdemokraten die EU-Kommission leiten würden. Immer wieder hat Macron dem Deutschen Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), seine fehlende Regierungserfahrung vorgehalten. "Er nannte viele Gründe, aber am Ende ging es vor allem darum, dass Weber nicht Französisch spricht", sagt eine Spitzenpolitikerin, die Macron in Paris besuchte. Die Idee, statt Weber, den Chef der stärksten Fraktion, den Sozialdemokraten Timmermans zum Nachfolger von Jean-Claude Juncker zu machen, scheitert am Widerstand von Polen, Ungarn und anderen Regierungen, in denen EVP-Parteien vertreten sind. Also muss neu gedacht werden.

Entsorgt wie hier seine Plakate wurde Manfred Weber zwar nicht in Brüssel, ausgebootet aber doch, finden viele in der CSU. (Foto: Lisa Schnell)

Als Weber aus dem Rennen fliegt, wird Ursula von der Leyen, zu der Zeit Verteidigungsministerin in Berlin, als EU-Außenbeauftragte gehandelt: Sie hat Regierungserfahrung und spricht fließend Englisch und Französisch. Dass die Top-Jobs möglichst paritätisch mit Männern und Frauen besetzt werden sollen, nützt ihr zusätzlich. Am Nachmittag des 1. Juli schlägt Macron nach langen Verhandlungen (in Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel) vor, dass von der Leyen ganz an die Spitze rückt. 24 Stunden lang werden andere Optionen diskutiert, aber bald steht das Personaltableau: Von der Leyen soll erste Frau an der Spitze der Kommission werden. Wenn Berlin einen Top-Job bekommt, muss gemäß der Machtlogik auch Paris einen solchen erhalten. Also soll Christine Lagarde Chefin der Europäischen Zentralbank werden. Der belgische Liberale Charles Michel wird Präsident des Europäischen Rates, und für die Sozialdemokraten wird der Spanier Josep Borrell EU-Außenbeauftragter.

Der Europäer: Jean-Claude Juncker nimmt Abschied als Präsident der Europäischen Kommission. (Foto: Francisco Seco/dpa)

So teilen die drei größten Parteien die Posten unter sich auf - aber im Europaparlament ist der Unmut groß, weil von der Leyen bei der Europawahl gar nicht angetreten war. Besonders heftig wehren sich einige deutsche Abgeordnete: "Frau von der Leyen als Chefin der Kommission ist untragbar", sagt Jens Geier, Vorsitzender der SPD-Gruppe. Diese stimmt mit Nein, genau wie die meisten Grünen, obwohl von der Leyen einen "europäischen Grünen Deal" zur ersten Priorität erklärt. Wie selbstbewusst, aber auch wie wütend viele Abgeordnete immer noch sind, zeigt sich Mitte Oktober, als sie die designierte französische Kommissarin Sylvie Goulard nach ihrer Anhörung durchfallen lassen. Aus Unzufriedenheit über ihr arrogantes Auftreten - aber wohl auch, um die alte Rechnung mit Präsident Macron zu begleichen. Macron nominiert an Goulards Stelle den Wirtschaftsfachmann Thierry Breton.

Die Bühne wird klargemacht für eine Veranstaltung der CDU in Münster zur Europawahl. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Zum 1. Dezember konnte Ursula von der Leyen gemeinsam mit ihrem Team ihr Amt antreten. Für die neue Kommission votierten in einer namentlichen Abstimmung 461 Abgeordnete, 157 dagegen. 89 Abgeordnete enthielten sich. Die designierte Kommissionschefin mag noch so oft betonen, dass sie in Brüssel geboren wurde. Die verschiedenen Akteure in der EU-Politik müssen sie und ihr Team erst noch kennen- und verstehen lernen. Zumal sich im Parlament nicht nur die Mehrheiten verändert haben: 60 Prozent der Abgeordneten sind neu gewählt. Viele denken gar nicht daran, den Vorgaben ihrer Fraktionschefs zu folgen.

Ursula von der Leyen stehen anstrengende Jahre bevor, wenn sie sowohl die Abgeordneten als auch die Staats- und Regierungschefs zufriedenstellen und gleichzeitig ihre ambitionierte Agenda vorantreiben will, vor allem ihren Green Deal. Europa soll bis 2050 klimaneutral und somit zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz werden. Vor allem in ihrer eigenen Partei ist die Skepsis groß.

© SZ vom 01.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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