Europäische Union:Brüsseler Beschwerden, Bukarester Ärger

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Die Unzufriedenheit der Rumänen mit ihrer Regierung ist groß. Schon im Januar demonstrierten Zehntausende gegen ein umstrittenes Straffreiheitsgesetz. Viele verbanden ihren Protest mit einem Bekenntnis zur EU. (Foto: Vadim Ghirda/AP)

Im Januar übernimmt Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft. Doch schon vor dem Stichtag ist die Stimmung schlecht.

Von Florian Hassel und Matthias Kolb, Brüssel/Warschau

Als Viorica Dăncilă Anfang Dezember Brüssel besuchte, gab Jean-Claude Juncker den charmanten Gastgeber. Per Handkuss begrüßte der Chef der EU-Kommission die Ministerpräsidentin aus Bukarest und sagte, dass Rumänien gut vorbereitet sei auf die anstehende EU-Ratspräsidentschaft. Damit äußerte sich Juncker ganz anders als der bürgerliche Präsident Rumäniens, Klaus Johannis, der zuvor sein Land als "noch immer völlig unvorbereitet" bezeichnet hatte. Juncker zufolge sind die "Meinungsverschiedenheiten" in Sachen Rechtsstaatlichkeit zwar ein Problem zwischen Brüssel und Bukarest, belasten aber nicht den EU-Vorsitz Rumäniens. Trotzdem verlangte Ministerpräsidentin Dăncilă auf einer Sitzung der postkommunistischen Regierungspartei PSD mehr "Respekt" und erklärte die Brüsseler Beschwerden "einzig und allein" damit, dass Rumänien ein osteuropäisches Land sei. PSD-Chef Liviu Dragnea, der aufgrund einer Vorstrafe nicht Regierungschef werden darf, de facto aber die Fäden zieht, klagte, Rumänien werde als "Mitglied zweiter Klasse" behandelt.

Zwei Wochen vor der Übernahme der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft tritt nun offen zutage, worüber in Brüssel seit Wochen getuschelt wird. Wer EU-Spitzendiplomaten nach ihren Erwartungen an Rumänien fragt, hört oft nur ein Adjektiv: "niedrig". Manch ein Diplomat betont immerhin, dass die aktuelle Lage auch für erfahrene EU-Länder schwierig wäre. Das Brexit-Chaos wird an Intensität eher zunehmen, die Regierungschefs in Berlin und Paris haben innenpolitische Probleme und wegen der Europawahl Ende Mai arbeitet das EU-Parlament nur knapp drei Monate, wodurch wenig Zeit bleibt, laufende Gesetzesvorhaben abzuschließen.

Die nächsten Wochen werden stürmisch bleiben, das liegt vor allem an der Europawahl

Hierin liegt die Hauptaufgabe der jeweiligen Präsidentschaft: Sie bereitet die Verhandlungen mit Parlament und Kommission vor, der Fachminister leitet die Sitzungen der jeweiligen Räte. Je nach Geschick, Vorbereitung oder eigener Agenda kann ein Thema also Priorität haben oder blockiert werden. Anders als die Österreicher, deren Ratsvorsitz gerade mit gemischter Bilanz zu Ende geht, setzen die Rumänen auf einen "brüsselzentrierten Ansatz": Es wird wenig in Bukarest geplant und eng mit dem Generalsekretariat im Europäischen Rat kooperiert. Für Aufsicht ist also gesorgt, aber kaum jemand rechnet mit kreativen Impulsen aus Bukarest.

Dass die nächsten Monate stürmisch bleiben werden, liegt auch an der Europawahl. Seit Jahren wird die Europäische Volkspartei (EVP) attackiert, weil sie die Fidesz-Partei in ihren Reihen duldet, obwohl der Autokrat Viktor Orbán in Ungarn Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit aushöhlt. Zu den schärfsten EVP-Kritikern gehört mit Frans Timmermans ausgerechnet der europaweite Spitzenkandidat der Sozialdemokraten - zu denen auch die postkommunistische PSD gerechnet wird. Neben den Grünen sind es Christdemokraten, die laut darüber nachdenken, analog zu Polen und Ungarn ein Rechtsstaatsverfahren gemäß Artikel 7 des EU-Vertrags einzuleiten, das zum Entzug der Stimmrechte führen könnte.

Wie bedenklich die Lage in Rumänien ist, hatte im November der Fortschrittsbericht der EU-Kommission gezeigt. Demnach bleibt das Land bei den Reformen nicht nur stehen, sondern es fällt zurück. Im Dezember forderte die EU Rumänien auf, bei der Unabhängigkeit der Justiz und der Korruptionsbekämpfung den "positiven Reformrhythmus" wiederherzustellen. Das tut die Regierung in Bukarest, die von der postkommunistischen PSD geführt wird, allerdings auf eigene Weise. Mitte Oktober befand das Verfassungsgericht allein bei einem Justizgesetz - zum Strafgesetzbuch - 64 von 96 Änderungen für verfassungswidrig. Eigentlich müssten diese nun im normalen parlamentarischen Betrieb korrigiert werden.

Umfragen zufolge sind inzwischen 70 Prozent der Rumänen für einen Regierungswechsel

Doch für PSD-Chef Dragnea drängt die Zeit: Er ist wegen Wahlfälschung rechtskräftig, doch nur auf Bewährung zu einem Jahr Haft verurteilt; im Sommer 2018 wurde er wegen Amtsmissbrauchs in erster Instanz zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Schon Mitte Januar kann die entscheidende Berufungsverhandlung vor dem Obersten Gericht stattfinden: Bestätigen die Richter den Schuldspruch, muss er hinter Gitter. Also will die Regierung Strafrecht und Prozessordnung per Eilerlass ändern - spätestens bis zum 15. Januar. Dies bestätigte der Justizminister. Dem Infodienst Hotnews zufolge soll der entsprechende Eilerlass fertig sein und unter anderem eine Strafamnestie für Verbrecher mit bis zu zehn Jahren Haftstrafe vorsehen. Auch Gesetze zur Entkriminalisierung von Steuerhinterziehung sind in Arbeit.

Auf der Parteisitzung warf Dragnea der EU vor, sie habe Rumänien mit Hilfe von Präsident Klaus Johannis und einigen rumänischen Europaparlamentariern "zum Sündenbock gemacht". Das bürgerliche Staatsoberhaupt steht der Regierung im Weg: Johannis hat die Unterschrift unter etliche Gesetze verweigert und sie dem Verfassungsgericht weitergeleitet, das in der Folge etliche Bestimmungen für rechtswidrig erkannte. Johannis' Kritik an den seiner Meinung nach unzureichenden Vorbereitungen der Regierung für den EU-Ratsvorsitz erbost Dragnea. Er forderte den Justizminister und führende Parlamentarier seiner Partei auf, Johannis wegen angeblichen Hochverrats anzuklagen. Diese bestätigten, dass eine Klage gegen den Präsidenten vorbereitet werde - auf welcher Grundlage, gaben sie nicht bekannt.

All diese Manöver haben dazu geführt, dass Umfragen zufolge 70 Prozent der Rumänen für einen Regierungswechsel sind. Auf nette Worte aus Brüssel können Dragnea und Ministerpräsidentin Dăncilă nicht mehr hoffen. Ein Sprecher der EU-Kommission reagiert auf deren Aussagen mit dem knappen Satz: "Wer so etwas behauptet, sollte unsere Arbeit besser verfolgen."

© SZ vom 18.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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