Europäische Union:Brückenbau für Fortgeschrittene

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Polens Vizepremier Jaroslaw Gowin warnt, ein Veto würde auch seinem Land schaden. (Foto: Hubert Mathis/imago)

Im Streit um den EU-Haushalt deutet Warschau kurzzeitig Kompromissbereitschaft an. Die Kommission erhöht derweil den Druck - und plant einen Corona-Fonds ohne Polen und Ungarn.

Von Björn Finke und Matthias Kolb

Kurz regte sich Hoffnung, dass es bei der Blockade des EU-Haushalts durch Ungarn und Polen Bewegung geben könnte. Am Donnerstag hatte Polens Vizeministerpräsident Jaroslaw Gowin Gespräche in der EU-Kommission geführt und am Abend in Brüssel eine Pressekonferenz gegeben: Es sei klar, dass das Veto auch seinem Land schaden würde, sagte Gowin. Seine Regierung könne statt einer Änderung der Regeln des umstrittenen Rechtsstaatsmechanismus auch eine Erklärung der EU-Mitgliedsstaaten akzeptieren, wonach dieser nur bezüglich der korrekten Verwendung von EU-Geldern greife.

Gowin gehört zu jenem Teil der Regierungspartei PiS, der die Allianz mit Ungarns Premier Viktor Orbán für falsch hält. Dieser wiederholte am Freitagmorgen im Staatsradio, dass das Finanzpaket mit seinen 750 Milliarden umfassenden Corona-Hilfen nicht mit der Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien verknüpft werden dürfe: "Ungarn besteht darauf, dass diese beiden Dinge getrennt werden müssen." Kurz darauf stellte ein Regierungssprecher in Warschau klar, dass Polen weiter an der Seite Ungarns stehe.

Am Ende könnten die Blockierer leer ausgehen

Während EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte, er wolle alles dafür tun, das beim Sondergipfel im Juli verabredete Paket umzusetzen, erhöht die Kommission den Druck. Geben Orbán und Polens Premier Mateusz Morawiecki vor oder beim Gipfel kommende Woche ihre Vetos nicht auf, will die Behörde den Corona-Hilfstopf so ändern, dass er auch ohne Zustimmung aller 27 Staaten in Kraft treten kann - die Blockierer würden leer ausgehen.

Dieses Manöver würde aber nichts daran ändern, dass der Sieben-Jahres-Etat der EU für 2021 bis 2027 weiter auf Eis läge. Ohne Placet aller Regierungen zu diesem sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen würde von Januar an ein Nothaushalt gelten. Dieser würde gut 15 Prozent kleiner ausfallen als der richtige Etat für das Jahr 2021, auf den sich Mitgliedstaaten und Europaparlament am Freitag geeinigt haben. Gekappt würden etwa Strukturhilfen für ärmere Regionen, von denen gerade Polen massiv profitiert.

Beim Corona-Hilfstopf verweigern beide ihre Zustimmung dazu, dass die Kommission im großen Stil Schulden machen darf, um diesen zu füllen. Daher sucht die Behörde nun ein Konzept, ohne dieses Placet - den sogenannten Eigenmittelbeschluss - Schulden machen zu können. Die Behörde orientiert sich hier an " Sure", dem EU-Hilfspaket für nationale Kurzarbeitergeld-Programme: Die Kommission gibt für bis zu 100 Milliarden Euro Anleihen heraus und nutzt das Geld für günstige Darlehen an Mitgliedstaaten, wenn diese hohe Ausgaben wegen Kurzarbeit haben. Die EU-Regierungen ermöglichen die Schuldenaufnahme Brüssels durch Garantien, also indem sie letztlich für Ausfälle bürgen. Ein Eigenmittelbeschluss, wie bislang beim Corona-Topf vorgesehen, ist nicht nötig.

Noch prüft die Kommission unterschiedliche Optionen

Nach Informationen der SZ bevorzugt die Behörde dieses Alternativmodell; zuerst hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung darüber berichtet. Andere Optionen wären, den Fonds außerhalb des EU-Rahmens aufzusetzen oder die Methode der Verstärkten Zusammenarbeit zu nutzen. Eine Sprecherin sagte nur, die Behörde prüfe unterschiedliche Optionen.

Bleiben Ungarn und Polen beim Fonds außen vor, würden Bürger und Firmen dies bitter zu spüren bekommen. Allein aus dem wichtigsten Programm des Corona-Topfs sollen geschätzte 23 Milliarden Euro an Polen fließen und etwa sechs Milliarden Euro an Ungarn. Aus der Kommission heißt es, ein alternativer Corona-Fonds ohne die zwei Staaten könne nur eine "Brückenlösung" sein, bis die Vetos irgendwann aufgegeben werden und der richtige Fonds in Kraft tritt.

Ob und wie lange diese Brücke gebraucht wird, weiß vermutlich nur Ungarns Premier Orbán. Er muss anders als sein polnischer Amtskollege keine innerparteiliche Kritik fürchten. In Brüssel wird davon ausgegangen, dass es an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist, einen Weg zu finden, Orbán und Morawiecki zum Einlenken zu bewegen. Erschwert wird dies dadurch, dass das EU-Parlament den Rechtsstaatskompromiss nicht aufschnüren will.

Offen ist, ob es für eine Einigung einen Showdown auf dem EU-Gipfel braucht, für den die Staats- und Regierungschefs nach Brüssel reisen werden. Manch EU-Diplomat hält es für möglich, dass Orbán und Morawiecki vorher einlenken, um sich nicht der geballten Wut auszusetzen.

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