Europa:Tusk bietet deutlich späteren Brexit an

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Der EU-Ratspräsident will die Staats- und Regierungschefs überzeugen, den Austritt Großbritanniens um mindestens ein Jahr zu verschieben - falls London dies wünscht.

Von Björn Finke und Alexander Mühlauer, London/Brüssel

Im Streit über einen geordneten Brexit hat EU-Ratspräsident Donald Tusk Großbritannien eine längere Verschiebung des Austritts in Aussicht gestellt. Vor dem EU-Gipfel Ende kommender Woche werde er an die übrigen 27 Staats- und Regierungschefs "appellieren, für eine lange Verlängerung offen zu sein, wenn Großbritannien es für nötig hält, seine Brexit-Strategie zu überdenken und Konsens herzustellen", schrieb Tusk am Donnerstag im Kurzbotschaftendienst Twitter. Dem Vernehmen nach versteht Tusk unter einer "langen" Verschiebung einen Zeitraum von mindestens einem Jahr.

Bislang ist der Brexit für den 29. März geplant. Angesichts der unklaren Lage in London wird ein Aufschub aber immer wahrscheinlicher. Nach Einschätzung Irlands könnte die EU dem Königreich sogar eine Verlängerung um bis zu 21 Monate anbieten. Das könnte Großbritannien dazu bringen, seine Brexit-Politik "fundamental zu überdenken", sagte der irische Außenminister Simon Coveney.

Befürworter einer zweiten Volksabstimmung mussten am Abend allerdings einen Rückschlag hinnehmen. Das britische Parlament sprach sich gegen einen Antrag ab, der ein neuerliches Referendum ermöglichen würde.

Das britische Parlament hatte sich am Mittwoch gegen einen Brexit ohne gültiges Abkommen ausgesprochen. Solch ein ungeregelter Austritt droht, weil das Parlament bisher nicht den Brexit-Vertrag gebilligt hat, auf den sich London und Brüssel geeinigt hatten. Bei einer Trennung ohne Abkommen fiele die Übergangsphase weg, in der sich fast nichts ändern soll. Stattdessen würden sofort Zölle und Zollkontrollen eingeführt - mit schädlichen Folgen.

Am Donnerstagabend wollten die Abgeordneten entscheiden, ob sie Premierministerin Theresa May den Auftrag erteilen, Brüssel um eine Verschiebung zu bitten. Die Vorlage sieht vor, dass die Konservative um eine Verschiebung bis höchstens 30. Juni bittet, wenn das Unterhaus den Austrittsvertrag bis kommenden Mittwoch billigt - einen Tag vor dem EU-Gipfel. Dieser Aufschub wäre nötig, um das Königreich mit Gesetzesänderungen auf den Brexit vorzubereiten. Wird der Vertrag hingegen nicht gebilligt, könnte die Verschiebung, auf die sich May und die EU einigen, deutlich länger ausfallen. Die Beschlussvorlage warnt, dass bei einem Aufschub über den 30. Juni hinaus die Briten im Mai an den Wahlen zum EU-Parlament teilnehmen müssten. Mit dieser Drohung will May die Anhänger eines harten Brexit in ihrer konservativen Fraktion bewegen, dem Austrittsabkommen doch zuzustimmen. Bis Mittwoch möchte May den Vertrag ein drittes Mal einbringen. Zweimal hatte sie bisher keine Mehrheit gefunden.

Die angespannte Lage in London wurde am Donnerstag durch eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Nordirland weiter verschärft: Die Ankläger entschieden, einen britischen Ex-Soldaten, der 1972 Demonstranten in Londonderry erschossen haben soll, wegen Mordes vor Gericht zu stellen. Es wird befürchtet, dass dieser Beschluss alte Wunden aufreißt in der einstigen Unruheprovinz.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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