An diesem Donnerstag entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH) über eines der umstrittensten Instrumente deutscher Integrationspolitik: die Sprachtests für Ehepartner aus dem Ausland. Seit 2007 müssen Braut oder Bräutigam nachweisen, dass sie wenigstens etwas Deutsch können, bevor sie ins Land ziehen dürfen. Für Kritiker - unter ihnen der Generalanwalt am EuGH - ist dies unzumutbar, weil es Paare lange Zeit trennen kann, für die Befürworter ein unverzichtbares Instrument gegen Zwangsehen und für eine rasche Integration. Seyran Ates beschäftigt sich als Berliner Anwältin, Beraterin und Buchautorin (zuletzt "Wahlheimat - Warum ich Deutschland lieben möchte") mit Integration und Gewalt in Zuwanderer-Familien.
SZ: Bringt der Sprachtest im Ausland etwas oder ist das Schikane, um die Leute draußen zu halten?
Ates: Es geht nicht darum, Leute draußen zu halten, sondern darum, dass Menschen, die hierherkommen, ein Minimum an Sprachkenntnis mitbringen. Sie sollen sich wenigstens grundlegend verständigen können. In dem Test werden ja nur die einfachsten, alltäglichsten Formulierungen verlangt. Die Idee war, insbesondere Frauen zu schützen, nicht sie zu schikanieren.
Wie sind Ihre Erfahrungen aus der Praxis als Rechtsanwältin in Berlin?
Meine Erfahrung, auch als Beraterin ist: Gerade im türkischen Milieu können viele Frauen kein oder zu wenig Deutsch, um mit der Außenwelt zu kommunizieren. Auch heute werden Frauen immer noch daran gehindert, die Sprache zu lernen. Ihre Männer wollen nicht, dass sie Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen.
Ehegatten aus dem Ausland sind doch mittlerweile verpflichtet, Deutsch zu lernen - sowohl vor der Einreise als auch später, wenn sie da sind.
Ja, zu mir kommen allerdings häufig Frauen, die schon länger in Deutschland leben. Aber es gibt auch viele Frauen, die lernen nach dem bestandenen Test nicht weiter und umgehen die Pflicht zum Integrationskurs hier. Oder es fehlt ihnen die Praxis, weil sie keinen Kontakt zu Deutschen knüpfen oder knüpfen dürfen.
Der Generalanwalt beim EuGH sagt: der Sprachtest sei als Mittel gegen Zwangsehen unverhältnismäßig. Wie sehen Sie das?
Das irritiert mich. Der Test ist sicher verhältnismäßig. Der Wille von Zwangsverheirateten ist ja schon in ihrer Heimat übergangen worden. Umso wichtiger ist es, dass sie in einer fremden Umgebung mit einer fremden Sprache Möglichkeiten bekommen, sich zu wehren. Es braucht einige Zeit, um aus so einer Zwangslage auszubrechen. Oft hatten die Frauen ja Kontakt mit Ärzten oder Physiotherapeuten. Aber wenn sie die Sprache nicht beherrschen, muss sie immer jemand begleiten. Damit haben die Männer eine Gelegenheit, die Frauen zu kontrollieren. Erst wenn sie eigenständig sprechen, können sie Hilfe in Anspruch nehmen, etwa einem Arzt erzählen, warum sie oft Migräne oder eine psychosomatische Erkrankungen haben. Ich finde die Sicht des Generalanwalts zynisch. Er sollte einmal mit Ärzten sprechen, die diese Frauen betreuen.
Würde es nicht ausreichen, Braut oder Bräutigam in Deutschland Deutsch lernen zu lassen?
Nein. Meist wird ja geheiratet, um eine Familie zu gründen. Das heißt, die Frauen werden schnell schwanger und bekommen Kinder. Dann haben sie kaum noch Zeit für Kurse. Und bei den Partnern fehlt oft die Bereitschaft, ihre Frauen Deutsch lernen zu lassen. Die wollen nicht, dass ihnen die Augen geöffnet werden. Sie holen sich ja mit Absicht eine Frau aus der Heimat, die nicht so selbstbewusst auftritt wie Frauen hier, die etwa als Analphabetin abhängig ist vom Mann. Es geht auch darum, einen Heiratsmarkt zu zerstören, der Frauenrechte missachtet. Auch vielen Männern fehlt übrigens die Zeit für Integrationskurse. Sie wollen in Deutschland möglichst schnell arbeiten.
Aber es gibt Härtefälle, etwa Analphabetinnen, die jahrelang den Test nicht schaffen.
Für diese Härtefälle kann man Ausnahmen vorsehen, um die Partner nicht jahrelang getrennt zu halten. Das ist richtig für besondere Situationen, etwa, wenn Kinder zur Welt kommen. In dem Fall kann man die Sprachkurse womöglich in Deutschland nachholen.
Was sind die häufigsten Integrationsprobleme von Ehegatten, die aus dem Ausland herziehen?
Die Sprache ist das größte Problem. Die Leute haben oft Kommunikationsprobleme, daraus entstehen unglaubliche Missverständnisse. Immer wieder müssen sie Landsleute an die Hand nehmen, was oft zur Folge hat, dass sie sich in eine Parallelgesellschaft zurückziehen. Das ist an sich ja nicht verwerflich. Fatal ist, dass sich in dieser Parallelwelt unheimlich viele Vorurteile gegenüber der westlichen Gesellschaft breitmachen. Dort blühen zum Teil Hass und Ablehnung, auch wegen Diskriminierungserfahrungen, es kursieren archaische Vorstellungen von einer verdorbenen westlichen Welt. Doch das können die Zugezogenen im Grund gar nicht beurteilen, weil sie die Sprache nicht können. Das macht Menschen unglücklich, es macht sie zu unmündigen Erwachsenen, die darauf angewiesen sind, dass andere für sie sprechen.
Eine Studie des Bundesamtes für Migration hat kürzlich ergeben: Die breite Mehrheit der ausländischen Ehegatten selbst findet den Sprachtest richtig. Ist das auch Ihr Eindruck?
Absolut. Wenn sie Menschen in der Türkei fragen würden, würde ihnen die Mehrheit sagen: Wenn diese Leute nach Deutschland wollen, dann müssen sie Deutsch lernen. Deutschland darf diese Voraussetzung fordern. Klassische Einwanderungsländer tun dies ja auch.
Der Sprachtest wird seit Jahren scharf kritisiert, als Menschenrechtsverletzung oder Deutschtümelei. Wie erklären Sie sich das?
Man muss sich genau ansehen, wer den Test angreift. Wenn die Attacken aus der konservativen Ecke der Türkei kommen, etwa von Ministerpräsident Erdoğan, dann wird er als Teil der angeblichen Assimilierung von Türken gesehen. Die will Erdoğan verhindern, Türken sollen Türken bleiben. Linke aus Deutschland glauben anhand des Tests belegen zu können, dass der Staat diskriminierend und rassistisch ist, dass er Menschenrechte verletzt. So wie viele Regeln, die Migranten etwas abverlangen. In Wirklichkeit ist es umgekehrt: Der Sprachtest schützt Frauen vor Menschenrechtsverletzungen.