EU-Reformvertrag:Prager Sonderwünsche

Lesezeit: 2 min

Der tschechische Präsident Vaclav Klaus fordert einen Zusatz zum Lissabon-Vertrag. Mit einer Ausnahmeregelung will er sein Land vor deutschen Eigentumsansprüchen im Sudetenland schützen.

Mit der überraschenden Forderung nach einer "Fußnote" zum EU-Reformvertrag hat der tschechische Präsident Vaclav Klaus für neue Verunsicherung in der Europäischen Union gesorgt. Der EU-kritische Politiker gilt EU-weit als letztes Hindernis für ein Inkrafttreten des EU-Reformvertrags, nachdem Irland am vergangenen Freitag per Referendum zustimmte und der polnische Präsident Lech Kaczynski am Samstag unterzeichnen will. Dem EU-Gipfeltreffen Ende Oktober in Brüssel droht wegen des befürchteten rechtlichen Schwebezustandes erbitterter Streit.

Will eine "Fußnote" zum EU-Reformvertrag: der tschechische Präsident Vaclav Klaus. (Foto: Foto: Reuters)

Klaus hat derweil seine Forderung nach einem Zusatz zum Lissabon-Vertrag konkretisiert: Um Forderungen von Vertriebenen nach der Rückgabe von Eigentum vorzubeugen, müsse der Reformvertrag für Tschechien einen Anhang erhalten, sagte Klaus in Prag vor Journalisten. Seiner Ansicht nach sei ein solcher Zusatz schnell zu bewerkstelligen. Es gehe dabei um den "rechtlichen Schutz der Bürger und die Stabilität des Eigentums in unserem Land", sagte er.

Vor einer Ratifizierung des Lissabon-Vertrags müsse deshalb bei der Grundrechtscharta der EU für Tschechien eine Ausnahme vereinbart werden, wie sie auch bereits für Polen und Großbritannien gilt. Sonst könne der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg die tschechische Gesetzgebung und sogar zeitlich zurückliegende Urteile überprüfen, sagte Klaus.

Polen und Großbritannien hatten per Protokollerklärung festgehalten, dass die im "Lissabon- Vertrag" verankerte "Charta der Grundrechte" nicht das nationale Recht in Frage stelle.

Einem Bericht der polnischen Zeitung Rzeczpospolita zufolge will Klaus Garantien gegen mögliche deutsche Eigentumsansprüche im ehemaligen Sudetenland. Nach dem Zweiten Weltkrieg war auf Grundlage der sogenannten Benes-Dekrete die deutschsprachige Minderheit in der damaligen Tschechoslowakei ohne Entschädigung vertrieben und enteignet worden. Tschechien hält bis heute an den umstrittenen Benes-Dekreten fest und lehnt die Rückgabe von Eigentum ab.

"Falsche Botschaft zur falschen Zeit"

Der derzeitige EU-Ratsvorsitzende und schwedische Regierungschef Fredrik Reinfeldt übte heftige Kritik am Versuch von Nachbesserungen am Vertragstext: "Das ist die falsche Botschaft zur falschen Zeit. Es hat viele Gelegenheiten und jede Menge Zeit gegeben, um andere Ansichten vorzutragen."

Der polnische EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek sagte hingegen: "Wir wissen jetzt viel besser als vor zwei Tagen, wie wir die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags erreichen können". Er fügte hinzu: "Es gibt Beispiele aus der Vergangenheit, als ähnliches gemacht wurde". Denkbar ist nach Ansicht von EU-Diplomaten eine Art politischer Erklärung. Damit könnte der bereits vereinbarte und ratifizierte Text bekräftigt werden - zumal Tschechien bereits eine Erklärung über die begrenzte Wirksamkeit der "Grundrechtecharta" dem Lissabon-Vertrag beigefügt hat.

EU unter Zeitdruck

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten auch nach dem Scheitern des ersten Referendums in Irland politische Erklärungen abgegeben, in denen sie die ohnehin bestehenden Garantien für die Neutralität Irlands und beispielsweise für das irische Abtreibungsrecht bekräftigten. Zudem hatten sie erklärt, sie wollten von der Möglichkeit, auf die Verkleinerung der EU-Kommission zu verzichten, Gebrauch machen.

Die EU steht bei der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags unter großem Zeitdruck: Sollte bis zum Monatsende nicht klar sein, ob der Vertrag in Kraft tritt, müsste die neue EU-Kommission nach den Regeln des geltenden Nizza-Vertrages gebildet werden. Dann müssten sich die EU-Regierungen darauf einigen, wer als erster auf einen EU-Kommissar verzichten muss.

"Kein Grund für weitere Verzögerungen"

Eine Sprecherin der EU-Kommission machte deutlich, dass die EU-Behörde nicht Präsident Klaus, sondern die tschechische Übergangsregierung von Ministerpräsident Jan Fischer als Gesprächspartner betrachtet. "Es ist jetzt Sache der tschechischen Regierung, zu entscheiden, wie sie auf die Forderung von Präsident Klaus reagiert", sagte sie. "Die Regierung hat den Vertrag unterschrieben." Falls das Verfassungsgericht wie erwartet auch die zweite Klage gegen den Vertrag abweise, so gebe es "keinen Grund für weitere Verzögerungen".

© sueddeutsche.de/dpa/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: