EU-Kommission:500 Tage bis zum Urteil

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Wie effizient arbeiten Richter, wie unabhängig sind sie, und vertraut ihnen die Bevölkerung? Die Europäische Union hat die Justizsysteme ihrer Mitgliedsstaaten untersucht und miteinander verglichen - die Bilanz ist durchwachsen.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Woran macht man fest, wie unabhängig Richter sind, wie effizient und gut Gerichte in einem Land arbeiten? Die Justizsysteme unterschiedlicher Länder mit ihren unterschiedlichen Verfahrensvorgaben miteinander zu vergleichen, ist schwierig. Seit 2013 versucht die Europäische Kommission es dennoch jedes Jahr. An diesem Freitag hat EU-Justizkommissarin Věra Jourová die siebte Ausgabe dieses sogenannten "Justice Scoreboards" vorgestellt, und ihre Bilanz ist durchwachsen: Vielen Ländern sei es zwar gelungen, ihr Justizwesen zu verbessern. Gleichzeitig gebe es aber auch Länder, in denen der Trend in die andere Richtung gehe. "Es gibt immer noch zu viele Bürger in der EU, die ihre Justiz nicht für unabhängig halten und die zu lange darauf warten müssen, zu ihrem Recht zu kommen", sagt sie.

Die Kommission hat die Justizsysteme der Mitgliedstaaten unter drei Gesichtspunkten untersucht: Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit. Vor allem bei der Effizienz gebe es in sehr vielen Ländern messbare Fortschritte, sagte Jourová. So habe sich in beinahe allen Ländern die Verfahrensdauer verkürzt. Es werde aber immer noch oft unterschätzt, dass eine lange Verfahrensdauer auch Einfluss auf die wirtschaftliche Lage eines Landes habe, weil Investoren abgeschreckt werden könnten. Als konkretes Beispiel nannte Jourová Italien: Dort dauerte es im Schnitt fast 500 Tage bis ein erstinstanzliches Gerichtsverfahren im Zivil-, Verwaltungs- oder Handelsrecht abgeschlossen war. Am schnellsten arbeiten die Gerichte mit 85 Tagen in Litauen; Deutschland liegt mit 204 Tagen im Mittelfeld.

Vier von fünf Ungarn bewerten die Unabhängigkeit ihrer Richter als sehr schlecht

Auch bei der Qualität sei die Entwicklung erfreulich - unter diesem Stichpunkt hat die Kommission Daten zur Ausstattung der Gerichte, aber auch zu der Ausbildung und der Anzahl von Richtern bezogen auf die Einwohnerzahl oder den Kosten von Rechtsstreitigkeiten zusammengefasst. So hätten mehrere Länder im vergangenen Jahr den elektronischen Zugang zu Gerichtsurteilen erleichtert. Auch investierten fast alle Länder mehr in den Ausbau ihrer Gerichte als noch im Jahr zuvor. Deutschland gehört laut der Untersuchung zwar nicht dazu, lag aber mit gleichbleibend 156 Euro pro Kopf bereits im vergangenen Jahr auf Platz zwei des Ländervergleichs, nur in Luxemburg gibt der Staat noch mehr für seine Gerichte aus.

Schwieriger zu messen, aber politisch auch am sensibelsten ist die Frage nach der Unabhängigkeit der Gerichte. Für diesen Teil der Untersuchung hat die Kommission nicht selbst Daten und Fakten miteinander abgeglichen, sondern die Bürger und Unternehmen in den einzelnen Ländern befragt: Für wie unabhängig haltet ihr eure Gerichte und Richter? Besonders schlecht schnitt dabei Ungarn ab: vier von fünf Ungarn bewerten die Unabhängigkeit ihrer Richter mit "ziemlich schlecht" oder sogar "sehr schlecht". Auch in der Slowakei, in Bulgarien und in Italien sind die Bürger von ihrer Justiz offenbar nicht überzeugt. Als Begründung für ihre Sorgen nannten die Befragten die befürchtete Einflussnahme durch die Regierung oder die Wirtschaft, aber auch, dass "der Status und die Stellung der Richter" ihre Unabhängigkeit nicht ausreichend sicherstelle.

In Polen hat sich die Lage im Vergleich zum Vorjahr drastisch verschlechtert. "Das spiegelt unsere Bedenken mit Blick auf die Justiz in Polen wider", sagte EU-Justizkommissarin Věra Jourová. Polens nationalkonservative PiS-Regierung hat die Justiz des Landes in den vergangenen Jahren umfassend reformiert. Die EU-Kommission hat deshalb mehrere Sanktionsverfahren gegen das Land eingeleitet.

Auch Rumänien steht unter aufmerksamer Beobachtung durch die EU-Kommission. Erst in dieser Woche hat das Parlament in Bukarest auf Druck der Regierung beschlossen, das Korruptionsstrafrecht zu lockern. "Wir beobachten das mit sehr großer Sorge", sagte Jourová. Im EU-Bericht schneidet die rumänische Justiz bei Firmen deutlich besser ab als bei den Bürgern. Jourová sagte, sie werde sich in den nächsten Tagen mit ihren Kommissarskollegen erneut über das Thema unterhalten. In Rumänien kämen derzeit einige Faktoren zusammen, "die zu einem Verlust der Unabhängigkeit der Justiz führen könnten", sagte sie.

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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