Künftiger EU-Kommissionspräsident:Das Parlament hat die Macht

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Das EU-Parlament kann bei der Wahl des neuen Kommissionspräsidenten ein gewichtiges Wort mitreden. (Foto: dpa)

Die Abgeordneten stehen vor einer historischen Chance. Sollten sie einen von ihnen gewählten Kandidaten durchsetzen, wäre das eine Zeitenwende. Doch die Zeit läuft.

Kommentar von Karoline Meta Beisel, Brüssel

In Brüssel treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, um die anstehenden Personalfragen zu diskutieren. Dabei geht es längst nicht nur um die Frage, ob der nächste Chef der EU-Kommission Manfred Weber oder Margrethe Vestager heißen soll. Auch das Machtverhältnis der europäischen Institutionen wird neu austariert, mit Wirkung weit über die Amtszeit des nächsten Kommissionspräsidenten hinaus.

Kern des Streits ist die Frage, wie genau entschieden wird, wer dieses Amt übernimmt. Die meisten Fraktionen im Parlament finden, dass Kommissionspräsident nur jemand werden soll, der bei der Europawahl auch für dieses Amt angetreten ist. Sie halten das für demokratischer. Viele Staats- und Regierungschefs wollen aber lieber unter sich ausmachen, wer die mächtigste Behörde der EU künftig leiten soll. Im EU-Vertrag steht nur, dass der Europäische Rat, das Gremium aus Staats- und Regierungschefs, das Wahlergebnis bei seinem Vorschlag für die Besetzung "berücksichtigen" soll.

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Die Rolle des Europäischen Parlaments ist in diesem Verfahren aber größer, als diese Formulierung vermuten lässt. Denn ohne das Okay des Parlaments wird in Brüssel niemand Kommissionspräsident. Die Abgeordneten müssen den Kandidaten durch ihre Wahl bestätigen. Das heißt andersherum aber auch: Wenn das Parlament sich einig wäre, wen es in diesem Amt haben will, kann der Rat kaum anders, als den Abgeordneten diesen Kandidaten auch zur Wahl vorzuschlagen.

Dieser Mechanismus verleiht den neu gewählten Abgeordneten eine ungeheure Macht. Die Parlamentarier müssen sich jetzt entscheiden, was ihnen wichtiger ist: der Erhalt des Spitzenkandidaten-Prinzips - oder doch nur das Fortkommen der eigenen Partei?

Bislang deuten die Zeichen eher auf Letzteres. Fast vier Wochen ist die Europawahl inzwischen her, aber das Parlament ist weit davon entfernt, eine Mehrheit für einen der Kandidaten beisammenzuhaben. Stattdessen diskutieren die Fraktionen über das Programm, das der künftige Kommissionspräsident abarbeiten soll. Dass diese Auseinandersetzung Zeit braucht, dass Inhalte wichtiger sind als Namen, leuchtet ein. Das Problem ist: Die Zeit wird knapp. Die Staats- und Regierungschefs haben bereits einen Termin für einen weiteren Gipfel im Auge, das sollte den Abgeordneten eine Warnung sein.

Klar, das Spitzenkandidatensystem ist nicht ohne Fehler: Solange es nicht auch grenzüberschreitende Wahllisten gibt, kann ein Spanier bei der Europawahl keinen Frans Timmermans wählen, weil der nur in den Niederlanden antritt, und ein Ungar keinen Manfred Weber. Aber immerhin wissen die Wähler, welchem Kandidaten sie mit ihrer Stimme den Rücken stärken; anders als bei dem Hinterzimmergeschachere, das viele Regierungschefs gerne beibehielten.

Wenn es dem Parlament jetzt gelingt, trotz aller Widerstände einen Spitzenkandidaten durchzusetzen, dann dürfte die intransparente Postenvergabe von früher Geschichte sein, zumindest was das Amt des Kommissionspräsidenten angeht. Wenn die Abgeordneten diese Chance aber verbummeln, werden sie die Schuldigen nicht lange suchen müssen.

© SZ vom 19.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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